Epidauros Amphitheater Bild: Lori M auf pixabay

SPRACHE IST ARENA

Georg Dekas
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14. Dezember 2022

Zwei Gedankenbilder: (1) Ein Megafon und davor Massen. (2) Eine Typenmaske in einem antiken Theater wie Epidauros. Dazwischen liegen bald 2500 Jahre, aber kein Fortschritt.

Meine Vorstellung von Sprache ist die einer Arena – nicht die Arena als Gladiatoren-Zirkus – die eines antiken Theaters. Vorzugsweise eines Amphitheaters wie das von Epidauros. Um 300 v. Chr. erbaut, war es fast 800 Jahre lang in Betrieb.

Das steinerne Halbrund gefüllt mit Zuschauern, die zu allererst Hörer sind, und alle aus der Nähe des Ortes kommen. Vorne, auf der Bühne stehen Darsteller. Sie haben ihre Typenmaske auf, die Persona. Damit verkörpern sie nicht sich allein, sondern eben Typen: Schöne junge Frau, alter Griesgram, mächtiger Gott, usw. Durch das Mundloch sprechen und singen sie. Soweit die geschichtliche Skizze.

Jetzt der Sprach-Gedanke. Als Persona spreche ich und will verstanden werden, gleichzeitig aber auch einen Typus verkörpern, ja eigentlich so etwas wie eine Marke sein. Die Arena antwortet mir auf meinem Weg der Darstellung sofort, durch Beifall oder Buhrufe. Ich kann mich einstellen. Ziel ist die Lust und Freude aller an der gelungenen Darstellung, die Unterhaltung, Erbauung, Einsicht und Belehrung bietet. Der ästhetische Genuss im vertrauten Rund, das ist es.

Im antiken Arena-Theater ist alles offen und sinnlich. Jeder sieht den anderen, hört alles, fühlt alles. Da überleben keine überlangen Monologe, keine abgehobenen Diskurse, keine dick aufgetragene Reklame gegen den Verstand des Runds. Und jenseits dieser und tausend anderer Dinge, die das Erlebnis der Arena ausmachen, steht über Allem die Performanz hin zu einem erhöhten, höheren Selbst, was zugleich eine Bestätigung des Ich im Wir ist: Ja, das sind wir, und ja, so sind wir, und ja, es ist gut so. Das ist das Politische, das aus dem intimen Halbrund der klassischen Arena herauskommt.

Stellen wir das Megafon oder Radio und die Massen dagegen: Ein falsches, betrogenes Ich-Bewusstsein ist hier die Folge, erzeugt von Propaganda, die auf gefügige, namenlose Haufen wirkt. In der vorgefertigten Sprache, im Jargon und Stakkato des Regimes. Ist dieser Rausch vorbei, gefallen sich die Betrogenen in endlosen Selbstanalysen, in hoch intellektuellen Reue- und Schuld-Darstellungen, bis sich das tausendfach dargestellte, zerbrechliche und jämmerliche Selbst im Nichts verliert.

Zurück zum vertrauten Halbrund des antiken Theater-Runds, zur Persona, zum festlichen Ich!

Das Paradox zum Schluss. Das weltweite Netz ist vielgestaltig und das Gegenteil von intim. Dennoch hat es eher etwas vom antiken Epidauros als vom Berliner Sportpalast.

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