UND GRAZ GING ZUM REGENBOGEN

Georg Dekas
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11. Juli 2023

Fahnen und Graz, das ist eine heikle Sache. Oder: Du kannst eine Dummheit nicht durch die entgegengesetzte auswetzen.

Als ich am 3. Juli 2023 in Graz war, sind mir als erstes die Tramwägen aufgefallen, auf deren First munter die Regenbogenwimpelchen flatterten. Dann habe ich die Regenbogenfahnen vor den Amtsgebäuden und Kirchen gesehen. Und noch etwas Verblüffendes. Die Stadt war voller Schulklassen, es war die letzte Schulwoche und Ausflüge waren angesagt. Nun geschah es, dass mir, einem alten weißen, unbeteiligten und nicht sonderlich auffälligen Mann, ständig überschwängliche Begrüßungen von der Schuljugend entgegen gebracht wurden. Es wirkte wie einstudiert, reflexartig, geradezu unnatürlich. Ich konnte mir nicht helfen, aber es musste einen unterirdischen Zusammenhang mit diesen Regenbogenfähnchen geben und mit der öffentlich-amtlich zur Schau gestellten Toleranzwelle. Das Unterirdische konnte in diesem Fall nur die Schule sein und ihre, sagen wir ‚zeitgeistempfindsamen‘ Lehrer. Ich habe mich ja sehr gefreut über die offenkundigen Freundschaftsgesten der Grazer Jugend. Besonders die vier muslimischen Mädchen einer Abschlussklasse taten sich da hervor, ich war entzückt. Auch finde ich die bunten Fahnen und Fähnchen überall in der steirischen Hauptstadt recht hübsch. Es muss ja nicht immer der republikanische Amtsernst in Rotweißrot sein.

So sehr mir Fahnen gefallen, wenn sie in einem schwedischen Vorgarten hinter einem weißen Zaun und vor einem kupferrot gestrichenen Häuschen ihr Blau-Gelb in den Mittsommerhimmel heben, oder die Tiroler Fahne, wenn sie zu Herz-Jesu vom heimatlichen Giebel weht, so sehr bin ich gebranntes Kind, wenn mir Fahnen eine Massengesinnung und staatliche Übermacht anzeigen. Und in dem Fall der Regenbogenfahne im Österreich von 2023 hatte ich das laue Gefühl, dass das freudige Herzeigen der Eigenart bereits die unsichtbare Grenze zum kollektiven Schauspiel unter politischem Druck überschritten hatte.

Als ich Tage später die „Kleine Zeitung“ um Rat zu diesen bunten Wimpelchen befragte, quoll mir auf der Netzseite dieser historischen Grazer Zeitung ein wahrer Propagandastrom entgegen – meine Hervorhebungen (Kleine Zeitung vom 2. Juli 2023)

Graz ist so regenbogen-bunt wie nie“ – „Zum ersten Mal in der Geschichte hat der amtierende Stadtchef, Bürgermeisterin Elke Kahr, zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesprochen“ – „Umjubelte Reden“ – „Aufgelegt wurde ausschließlich ukrainische Musik“ –  „Rund 10.000 Menschen waren laut Polizei gekommen […], um für die Rechte von Andersliebenden zu kämpfen“ – „in der Heilandskirche ein ökumenischer Regenbogen-Gottesdienst“. Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ): „Außerdem bekennt sich Graz öffentlich zu seinen Werten als Menschenrechtsstadt.“ 

 

Kinder, Hund und ‚zeitgeistempfindsame‘ Aufsichtsperson immer dabei. A bissl viel auf einmal, nicht?

Und dann stand da noch ein Satz, in dieser „Kleinen Zeitung“ vom 2. Juli 2023:

„Als Zeichen der Solidarität und Toleranz hat der Präsident des Oberlandesgerichts Graz, […] die Pride-Flagge am OLG Graz gehisst – als erstes Gerichtsgebäude Österreichs.

Jetzt musste ich schlucken. Dieses „Jubeln“, dieses „erstes“, dieses „hissen“ und „sich bekennen“, das kannte ich doch von irgendwoher. Ach ja, Österreich am 13. März 1938.

Ausgerechnet die „Kleine Zeitung“ – ja, die identische Zeitung! – bringt an jenem Tag groß einen Mann aufs Titelblatt. Darunter steht:

Adolf Hitler, der Führer. Österreich bekennt sich jubelnd zu ihm.

Und das Museum Graz erinnert:

„Das Grazer Rathaus war das erste öffentliche Gebäude Österreichs, an dem – noch vor dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland – die Hakenkreuzfahne gehisst wurde.“ (360.grazmuseum.at)

Und noch was: Für die begeisterten Grazer von 1938 war ihre Heimatstadt „die Volkserhebungsstadt“. (Siehe Titelbild). Heute, 2023, will sie „Menschenrechtsstadt“ sein.

Bitte verargt es mir nicht, aber bei so viel struktureller Ähnlichkeit und gewolltem Radiergummi vergesse ich glatt, dass die Fahnen damals und heute andere sind, dass Schwule eher keinen Krieg anzetteln würden und dass ein muslimisches Mädchen-Hallo auf Österreichisch natürlich viel schöner und mir viel lieber ist als ein schicksalsschwangeres, schnarrendes „Sieg Heil!“

Das gemeinsame Band zwischen damals und heute sehe ich darin, dass die Grazer sich wieder einmal mit Pomp und Gloria, jubelnd und Fahnen hissend, dem Zeitgeist ergeben, weil sie lieb und nett sein und „dazugehören“ wollen, was heißt dazugehören? – vorauseilen wollen sie, die Besseren wollen’s sein.

Drum gilt es festzuhalten, dass eine manifeste politische Dummheit nicht durch eine diametral entgegengesetze getilgt und ungeschehen gemacht werden kann. Und wenn da mitten im Getöse um die Gleichheit aller kopulierenden Männlein und Weiblein eine Regenbogendame (Schwentner) meint, sie müsse durch das Auflegen „ausschließlich“ ukrainischer Musik „ein Signal gegen den Angriffskrieg Russlands setzen“, dann erscheinen hinter der Illusion von der  „angstfreien“ (Kahr), liebestollen, bunten Bullerbü-Welt schon die ersten finsteren Schatten.

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