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NEUJAHRSBOTSCHAFTEN

Georg Dekas
|
2. Januar 2024

Vier präsidiale Neujahrsansprachen, die uns Mitteleuropäer angehen.

Italien (Staatspräsident Sergio Mattarella, Rom)

Der Römer ist so nahe dran am Brandherd in Nahost, dass ihm der Friede unter den Nägeln brennt. Typisch italienisch fordert er von anderen konkret die Niederlegung der Waffen, für sein Italien aber weicht er ins hohe Unbestimmte aus: Das höchste Gut sei die Erziehung zum Frieden. Der Botschaft kann man nicht anders als zustimmen, aber wieder einmal ist alles auf die hohe, lange, unerreichbare Bank geschoben.

Österreich (Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Wien)

Der Wiener ist ganz «Ich» und Zeitgeist. Mimt den Versöhnlichen und verteilt zugleich Zensuren bis zum Punkt, einen Großteil seiner «alle, die in Österreich leben» als «ignorant» zu bezeichnen, weil sie den «Klimanotstand» nicht sähen. Da ist der präsidiale «Ich»-Wunsch, dass die Leute und die Parteien mehr miteinander reden sollten, nicht mehr das verdeckte Eingeständnis einer zutiefst konfliktträchtigen Gesellschaft.

Deutschland (Bundeskanzler Olaf Scholz, Berlin)

Für die Bundesrepublik Deutschland übernimmt der Kanzler die Aufgabe, das Land auf das neue Jahr einzuschwören. Er tut es als Buchhalter. Ein Kreisvorsitzender der SPD in Hinterhofen hätte es nicht anders machen können. Da hat uns der böse Putin den Gashahn abgedreht, schiebt er jede Verantwortung weg, – aber dem haben wirs gezeigt! Es folgt eine lächerlich materialistische Aufzählung von allerhand Steuer- und Geldvorteilen für die Deutschen, mit viel Schulterklopfen: Wir sind und bleiben die Besten. Berlin jedoch bleibt bescheiden, möchte sich ganz der EU unterordnen. «Wenn wir uns mit Respekt begegnen…» Wenn die Katz a Henn wär, dann wäre Scholz ein großer Staatsmann und Deutschland kein jämmerlicher Haufen kleiner, möglicherweise falscher Haushaltsrechnungen.

Russland (Präsident Wladimir Putin, Moskau)

Und jetzt kommt der Russe: «Meine Lieben!», sagt er, und «Sehr Verehrte». Allein schon diese Anrede! Dann: ‚Wir sind eine Familie, stehen zusammen, verteidigen unser Land, wie es schon unsere Väter getan haben. Seid gegrüßt ihr Helden, ihr seid in unseren Herzen. Wir werden stärker, wir bleiben auf Kurs.‘ Was der Kreml da am Silvesterabend Punkt 12 abliefert, ist so gewaltig verschieden von dem, was Berlin, Wien und Rom zeigen. Gefühl, Pathos, Eindeutigkeit, Bekenntnis, Programm. Das gibt Auftrieb, erzeugt Sicherheit. Und dieses Russland soll unser Feind sein?

Die Zwerge und der Riese

Die Bilanz fällt erschreckend deutlich aus. Rom, Wien und Berlin sind Zwerge, Russland ist Riese. Im neuen Jahr 2024 werden sich diese vier so unterschiedlichen Geisteshaltungen wohl auch in entsprechenden Ergebnissen entfalten.


Nachfolgend die z. Teil sehr gekürzten Ansprachen mit originalen Wortlauten

 

Italien (Staatspräsident Sergio Mattarella, Rom)

«È indispensabile fare spazio alla cultura della pace. Per conseguire la pace non è sufficiente far tacere le armi. Costruirla significa, prima di tutto, educare alla pace»

Österreich (Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Wien)

«Liebe Österreicherinnen und Österreicher und alle, die in Österreich leben!Lassen Sie uns wieder mehr miteinander reden … konstruktiv streiten, aber dabei niemals den Boden der Vernunft zu verlassen. Der Klimanotstand, der Treibhauseffekt sind wissenschaftlich bewiesen und wir alle erleben die Folgen doch mittlerweile quasi jede Woche. Wie ignorant muss man sein, wie entfernt von der Natur, um das nicht wahrzunehmen? Ja, das wünsche ich mir auch für 2024: Dass wir nicht an Fakten rütteln, an denen es nichts zu rütteln gibt. Meine Damen und Herren, wissen Sie, was ich mir noch erhoffe für uns? Mehr Zuversicht.»

Deutschland (Bundeskanzler Olaf Scholz, Berlin)

«Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger! Kaum war Corona halbwegs vorbei, brach Russland mitten in Europa einen unerbittlichen Krieg vom Zaun. Kurz darauf dreht uns der russische Präsident den Gashahn ab. Und im Herbst gab es auch noch den brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel. Unsere Welt ist unruhiger und rauer geworden. Auch wir müssen uns deshalb verändern. Und zugleich weiß ich, wir in Deutschland kommen da durch. Die Inflation ist gesunken. Löhne und Renten steigen. Die Gasspeicher sind für diesen Winter randvoll. Noch nie hatten so viele Frauen und Männer in Deutschland eine Arbeitsstelle wie heute. Deshalb investieren wir jetzt: in ordentliche Straßen und eine bessere Bahn, in eine saubere Energieversorgung und in besseren Klimaschutz, in gute Arbeitsplätze Von morgen an zahlen Arbeitnehmer in Deutschland 15 Milliarden Euro weniger an Steuern. Dazu kommen das höhere Kindergeld, das Wohngeld und nicht zuletzt die Senkung der Beiträge zur Sozialversicherung. Stark macht uns die Europäische Union. Wenn die EU geschlossen auftritt, dann handelt sie für mehr als 400 Millionen Bürgerinnen und Bürger. In einer Welt mit acht, künftig sogar zehn Milliarden Menschen, ist das ein echtes Pfund. Künftig können wir die Außengrenzen Europas besser kontrollieren. Nichts wird besser, wenn wir nur übereinander reden anstatt miteinander. Wenn wir uns gegenseitig mit Respekt begegnen, dann brauchen wir keine Angst zu haben vor der Zukunft».

Russland (Präsident Wladimir Putin, Moskau)

«Sehr verehrte Bürger Russlands! Liebe Freunde! Im auslaufenden Jahr haben wir intensiv gearbeitet und viel geleistet. Wir waren standhaft beim Verteidigen unserer nationalen Interessen, unserer Freiheit und Sicherheit Das Wichtigste, was uns vereinigt hat und vereinigt, ist das Schicksal unseres Vaterlandes. Wir sehen klar und deutlich, wie viel in dieser Zeit von uns selbst, von unserer Hinwendung zum Besseren und von unserem Streben abhängt, einander mit Wort und Tat zu unterstützen. Wir sind einig in unseren Gedanken, im Schaffen und im Kampf, im Alltag und im Feiern, wobei wir die allerwichtigsten Züge des Volkes Russlands zu erkennen geben: Solidarität, Barmherzigkeit, Standhaftigkeit. Ich will mich heute an unsere Militärangehörigen wenden Ihr seid unsere Helden! Unsere Herzen sind bei Euch. Wir sind stolz auf Euch. Wir bewundern Euren Mut. Wir haben mehrmals bewiesen, dass wir schwierigste Aufgaben lösen können und nie zurückweichen werden, weil es keine Kraft gibt, die uns entfremden und uns dazu zwingen könnte, die Erinnerung an unsere Väter und deren Glauben zu vergessen. Das kommende Jahr 2024 ist in unserem Land zum Jahr der Familie erklärt worden. Wir sind ein Land, eine große Familie. Wir werden die sichere Entwicklung des Vaterlandes, den Wohlstand unserer Bürger gewährleisten. Wir werden noch stärker sein. Wir stehen zusammen, und das ist die sicherste Gewähr für die Zukunft Russlands. Alles Gute zum Neujahr, meine Lieben! Ein frohes neues Jahr 2024!»

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