Ein pressekritischer Diskussionsbeitrag zum 100-Jahr-Gedenken Marsch auf Bozen
Der Rechtsanwalt Nicola Canestrini, Sohn des legendären Sandro Canestrini, hielt die Hauptrede bei der Gedenkveranstaltung der Südtiroler Schützen in Bozen am 1. Oktober 2022. Er sagte, die „Gemeinschaft Italiens“ müsste dem Südtiroler Heimatbund und den Südtiroler Schützen dankbar sein: „dass wir heute “gezwungen” sind, uns mit dem 100. Jahrestag des Marsches der Faschisten auf Bozen auseinanderzusetzen.“ Die Initiative des Schützenbunde breche „ein allgemeines Schweigen“.
Die „Dolomiten“ hält sich zurück
Die Veranstalter hatten im Vorfeld eine Plakatwerbekampagne und einen Aufruf zur Teilnahme am Umzug durch Bozen gemacht. Wer sich im Vorfeld ein redaktionelle Verstärkung in der Athesia-Zeitung „Dolomiten“ erwartete hätte, blieb enttäuscht.
Erst am Jahrtag selbst kommen in der „Dolomiten“ wichtige Stimmen zu Wort. Der geschichtliche Abriss hinten (ganze Seite 44) mit einem Beitrag von O. Parteli, und eine flott gestaltete Bozner Lokalseite (25).
Derweil darf sich vorne prominent die Kultur mit irgendwelchen Randthemen ausbreiten, von der Titelseite ganz zu schweigen. Jedenfalls hat die „Dolomiten“ das Tagesthema nicht den Schützen anvertraut. Das ist insofern bemerkenswert, als bei anderen Groß-Veranstaltungen sich immer Interviews mit den Machern finden, wenn diese in Athesia-Medien Werbung schalten, so wie es Heimatbund und Schützenbund in diesem Fall bei den Leuchtplakaten der Bushaltestellen gemacht haben (werden von der Athesia-Firma First Avenue betrieben).
In Bozen haben die Partisanen das Wort
Im Mittelpunkt der schnittig gestalteten „Dolomiten“-Seite mit den Liktorenbündeln des Siegesdenkmals unter der Überschrift „Schwarzer Marsch“ steht eine Diskussions-Veranstaltung der Universität Bozen, der Gemeinde Bozen und des Instituts „Ferruccio Parri“ – das ist staatlicher Partisanen-Antifaschismus aus Mailand. Die Stars der „hochwissenschaftlichen Vorträge“ („Dolomiten“) sind bekannte Namen aus der links-antifaschistischen Schule. Es spricht im Gemeindesaal (drinnen, nicht draußen auf dem Platz) der konforme Historiker Hannes Obermair. Natürlich hat auch Arno Kompatscher sein Grusswort an der Uni hinterlassen und bekommt dafür eine kleine Randspalte. Weit und breit kein sichtbare, lesbare Spur zum bevorstehenden Schützen-Umzug. Und als wollte man einen bewussten Gegenpol zum Fackelzug der Schützen am Samstag Abend schaffen, finden wir auf der selben Seite des Tagblattes die zweite Überschrift „Gemeinde gedenkt am Sonntag“. Bei dieser Veranstaltung darf man unter anderem auch ein Semirurali-Haus besichtigen. Ein Vorzeige-Projekt von Mussolini.
Nachberichterstattung
Der Pflicht der Chronik folgend gibt es die Berichterstattung zum großen Ereignis im „Tagblatt der Südtiroler“ am 3. Oktober 2022. Es ist ein ansehnlicher Fünfspalter mit den tollen Fotos des Schützenbundes. Aber die Rubrik lautet „Geschichte“. Die hochpolitischen Inhalte des Berichts werden mit einem Allerweltstitel kaschiert: „Für eine lebenswerte Tiroler Heimat“. Die Jahresversammlung des Bozner Heimatpflegevereins hätte mit so einem Titel auch gut leben können. Die Forderung nach mehr Selbständigkeit Südtirols im vorgetragenen Manifest der Schützen verliert sich in den Schlusszeilen des unsignierten Artikels. Offensichtlich sind die Schützen der „Dolomiten“ zu heiß. Da wendet man sich lieber ausländischen, akademischen Faschismusforschern zu, die ebenso gelehrt wie rätselratend über das Warum des Aufstiegs von Hitler sprechen, an diesem Jahrestag, der ein eminent politischer und einheimischer ist.
Intellektuelle Aufarbeitung im Wasch-Schongang
100 Jahre Marsch auf Bozen eignet sich nicht wirklich für einen neuerlichen Wasch-Schongang des italienischen Faschismus à la Hannes Obermair, der in Bozen die Regie zu führen scheint. Das Foto mit den gebeugten Studenten im Hörsaal jedenfalls kann nicht mit den Schützenabordnungen aus ganz Tirol konkurrieren. Soweit die Medienkritik.
Nachtrag
Im Laufe des Montags hat dann Salto.bz die Rede von Nicola Canestrini veröffentlicht – so, wie sie schon zuvor auf der Webseite des Schützenbundes zu finden war.
Hinweis
Die Einschätzung, ob die Gefahr einer Rückkehr des Faschismus – auch in neuer Gestalt – besteht, erörtere ich im NUiS-Beitrag „FASCHISMUS WIEDER DA?“