(c) dege)

HERRSCHER SIND MÖRDER

Georg Dekas
|
22. August 2023

Bevor man Putin moralisch an die Eier geht, sollte man das Wirken des „Nero von England“ zum Massstab für politisches Handeln heranziehen.

Seit die Russische Föderation wieder aktiv Weltpolitik macht (Syrien, Krim, Donbass, Afrika), ist es im Westen Mode geworden, den Herrscher und strategischen Kopf des Ganzen, Wladimir Putin, zum Verbrecher, Tyrannen und Ungeheuer zu stempeln. Nicht nur in der Boulevardpresse, sondern sogar in anspruchsvollen Blättern wie der NZZ. (Im Bild: Artikel vom 20. August 2023).

Ja, es sagt sich leicht: „Den Aufstieg des Kremlherrschers säumen Leichen.“Aber schauen wir doch nur ein klitzeklein wenig auf das urdemokratische England und seinen Gründervater Heinrich den Achten (Wikipedia ist eine Fundgrube!). Wie hat denn der seine Herrschaft abgesichert? Nur mit Säuseln und Streicheln?

 

 

Ein Fürst geht über Leichen

Als 18jähriger bestieg Heinrich den Thron (1509) und ließ sofort die zwei treuesten Minister seines Vaters Heinrich VII. umbringen. Im April 1521 wurde Edward Herzog Buckingham nach einem Schauprozess hingerichtet, weil er sich mit des Königs Günstling Wolsey überworfen hatte. Wolsey selber starb eines mysteriösen Todes während einer Reise beim Versuch, mit den Kontinentalmächten zu pakteln. Als sich Heinrich vom Papst losgesagt hatte, ging es rund: Londons Kartäuser-Mönche, Kanzler Thomas Morus und Bischof John Fisher wurden 1535 in den Tower of London gesperrt und jeweils im Mai, Juni und Juli hingerichtet, die Mönche durch Hängen, Ausweiden und Vierteilen, Fisher und More durch Enthauptung. Ab 1538 ließ Heinrich sämtliche englische Klöster auflösen. Wer Widerstand leistete, wie die Äbte von Reading, Glastonbury und Colchester, wurde als Verräter verhaftet und gehängt. Katholiken, die an der römischen Kirche festhielten, aber auch Protestanten, wurden verfolgt und hingerichtet, „mitunter am selben Tag.“ Anne Boleyn, für die er seine erste Frau Katharina von Aragon verlassen hatte, musste ihre Gattenwahl ebenfalls mit dem Tod büßen, zusammen mit ihrem Bruder und vier Vertrauten. Es sollte nicht der letzte Frauenmord des fetten Vielfraßes sein. Im Februar 1537 ließ König Heinrich einen Aufstand blutig niederschlagen. Die Anführer, darunter Robert Aske und Thomas Darcy, wurden als Verräter hingerichtet.

Angst vor Ansteckung und Vergiftung

Um eine kleine Pause im Todesreigen zu machen, blenden wir Henrys Phobien ein, die man auch dem Kremlherrscher Putin nachsagt. Für seinen lang ersehnten, einzigen Sohn Prinz Eduard machte er aus dem Schloss Hampton Court einen Quarantänebunker. Sein Essen wurde von einem Vorkoster geprüft. Wände, Decken und Böden mussten mehrmals täglich geschrubbt werden. „Damit seine Kleidung nicht vergiftet werden konnte, mussten sie vor dem Anziehen geprüft werden. Auch durften die Mitglieder seines Haushalts nur in seiner Nähe sein, solange sie keine Krankheitssymptome aufwiesen.“ (Zitat aus Wikipedia nach Tracy Borman).

Weiter geht es mit den staatlich sanktionierten Hinrichtungen. Im Verlauf der sogenannten Exeter-Verschwörung wurden die königlichen Vettern Henry Courtenay und Henry Pole, sowie Heinrichs enge Freunde Sir Edward Neville und Sir Nicholas Carew des Hochverrats angeklagt und enthauptet. Reginald Poles Mutter blieb ebenfalls in Haft und wurde zwei Jahre später hingerichtet. Heinrichs Vertrauter und Kanzler Thomas Cromwell selbst wurde mittels eines „Act of Attainder“ zum Tode verurteilt und am 28. Juli 1540 hingerichtet.

Frauenmörder in Serie

Noch während der Ehe mit Anna Seymour (3. Ehefrau) hatte Heinrich sich leidenschaftlich in Annas Hofdame Catherine Howard verliebt, eine Cousine Anne Boleyns (2. Ehefrau, hingerichtet). Heinrich heiratete Catherine Howard noch im Monat der Annullierung der 4. Ehe mit Anna von Kleve und am Tag von Cromwells Hinrichtung. Etwas später traf es die 5. Ehefrau: Catherine wurde wegen Ehebruchs angeklagt und gemeinsam mit Jane Boleyn am 13. Februar 1542 enthauptet. Ihre Vertrauten Dereham und Culpeper wurden wegen Hochverrats hingerichtet. Das letzte Todesurteil, das zu Heinrichs Lebzeiten vollstreckt wurde, traf einen Lord, der es gewagt hatte, das Wappen des Königs zu tragen. Surrey protestierte während seiner Gerichtsverhandlung, dass seine Familie seit 500 Jahren das Recht besaß, dieses Wappen zu führen. Für Mörder zählt das nicht. Surrey wurde er am 19. Januar 1547 wegen Hochverrats hingerichtet. „Einigen Quellen zufolge“, schreibt Wikipedia abschließend, „wurden unter seiner (Heinrichs des VIII.) Herrschaft über 70.000 Hinrichtungen durchgeführt.“

Die Moral von der Geschicht‘

Der deutsche Protestant Philipp Melanchthon nannte Heinrich den Achten treffend „englischer Nero“. Dass Heinrich für seine Verbrechen das Parlament missbrauchte, um seine Morde legalisieren zu lassen, macht die zahlreichen Untaten nicht besser. Wer wie die Briten solche Typen in seiner Ahnengalerie hat (von den Deutschen gar nicht zu reden), sollte den Zeigefinger gegen Putin gefälligst unten lassen. Denn Herrscher sind fast immer heimliche oder legale Mörder, die Opfer ihrer Kriege nicht einmal mitgezählt.

Teilen
WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner