Südtirol hat klagt schon lange über Ärztemangel. Besonders auf dem Land. Was in deutschen Ländern ein allgemeines Problem ist, wird in Südtirol durch hausgemachte Politik zusätzlich verschärft. Dabei hielte die Landesregierung das Schwert in der Hand, um den Gordischen Knoten zu lösen.
Alles sucht händeringend nach Ärzten. Dabei dürfte der Nachschub eigentlich kein Problem sein. Österreich ist Südtirols Kaderschmiede für Ärzte. Voriges Jahr traten in Österreich 12.000 junge Leute zum Eignungstest für ein Medizinstudium an: Für 1.850 Studienplätze! Kein Wunder, dass die SPÖ eine Verdoppelung der Medizin-Studienplätze fordert. Doch für die Ärztekammer (ÖAK) ist das ein “abstruser Vorschlag”. Und die Kammer hat nicht ganz unrecht. Immerhin gibt es in Österreich 22.000 niedergelassene Mediziner, wonach laut Adam Riese 363 Einwohner auf einen Arzt kommen. Für Patienten ist das sehr komfortabel. Weniger für die bestehenden Ärzte: Jeder weitere niedergelassene Arzt würde das Verhältnis drücken. Von etwas leben müssen die Niedergelassenen ja noch können. Und fürs Ausland Mediziner produzieren, ist bei der gegebenen Organisation der Staaten sicher kein nationales Ziel. Anders schaut es in Südtirol aus. Hier bräuchte es dringend mehr Ärzte, die ihre Kunst in Österreich erlernt haben – allein schon der Qualität wegen.
Andere Staaten, andere Logik
Doch Südtirol gehört einem anderen Staat an und unterliegt damit einer anderen Logik. Hier ergibt die rein rechnerische Quote von 500.000 Einwohnern geteilt durch 300 Hausärzte einen potenziellen Patientenstamm von 1.667 zu behandelnden Körpern (für die Seelen sind andere zuständig). Die italienischen Ärztegewerkschaften haben zäh und lange darum gekämpft, die durchschnittliche Patientenbetreuung von rund 1200 auf 1600 zu heben. Sie und national gesinnte Beamte und Kammerfunktionäre sind es auch, die jeden Zuzug aus dem deutschen Ausland mit allen möglichen Winkelzügen erschweren. Die wenigen Zahlen oben und das Insiderwissen von den politischen Intrigen sagen, dass es eigentlich keinen Ärztemangel geben dürfte, oder dass der Mangel von den ärztlichen Standesvertretern je nach Staatslogik im eigenen Interesse aufrecht erhalten wird.
Hausgemachten Engpass lockern
Ganz besonders was die Allgemeinmediziner betrifft, so sind die von Staat und Land Südtirol vorgeschriebenen, etwas konstruiert wirkenden und jedenfalls überlangen „Ausbildungs“-Zeiten, die ein promovierter Mediziner anhängen muss, bis er als „Basisarzt“ Gutes tun kann, ein sicheres Zeichen für kontrolllierten Zugang und künstliche Marktverknappung. Denn diese zusätzliche Fach-Ausbildung ist weitgehend politisch und mithin auch gewerkschaftlich festgelegt. Gäbe es nicht den Dr. Engl aus Brixen, der wie ein Schutzengel über eine vernünftige Ausbildung zur Allgemeinmedizin in Südtirol wacht, wäre das politische Elend ungleich größer.
Im Sinne der Reduktion von Komplexität, so wie das Alexander der Große mit der Zerschlagung des Gordischen Knotens vorgemacht hat, gibt es einen Ausweg aus der Landarzt-Knappheit: Nur ein wenig die hohen bürokratischen Standards absenken und schon gäbe es Kinder, Haus- und Landärzte in Fülle.
Die Südtiroler Landespolitik und ihr mächtiger Beamtenstaat hätten eigentlich längst schon in diese Richtung reagieren müssen und hätten es theoretisch auch können. Dazu braucht es Unternehmergeist und Mut. Doch das politische Südtirol hat gewaltig viel Sand im Getriebe. Oder sagen wir Goldstaub? Egal.
Das Getriebe hinter dem Südtiroler Ärztemangel – ein politischer Kommentar
Wie sagt es ein hübscher Blondschopf ganz prominent auf der Titelseite der DOLOMITEN vom 8. Feber 2023: «Massive bürokratische Hürden und ein Medizin-Standard wie vor 30 Jahren». Die ganze Malaise der Südtiroler Ärzteschaft in einem Satz. Es spricht die aus Sulden gebürtige Ärztin Larissa Hofer, die in Innsbruck lebt. Sie wollte ursprünglich Allgemeinmedizinerin in Südtirol werden, aber die italienische Monsterbürokratie und andere Widernisse brachten sie davon ab. In einem offenen Brief an den Landeshauptmann von Südtirol beschreibt sie das Problem mit dem stockenden Ärztenachwuchs aus unserem medizinischen Mutterland.
Warum ein Brief an ihn? Erste Antwort: Weil der «Arno», wie ihn seine Freunde in und außerhalb des Edelweiß nennen, die Sanität selber führt, nachdem er seinen Gesundheitslandesrat rausgeschmissen hat. Zweite Antwort: Weil der Landeshauptmann Kompatscher die Misswirtschaft schon sehr, sehr lange mitverantwortet. Zur Erinnerung: 2014 hatte er in Bozen das Ruder übernommen und eine „Parteisoldatin“ zur Gesundheitslandesrätin gemacht. Angetreten mit der Absicht, Kosten einzusparen und Effizienz zu erhöhen, gab es am Ende große Mehrausgaben und Frust auf allen Seiten. In der zweiten Kompatscher-Periode musste der ungeliebte und später geschaßte Thomas Widmann die marode Sanität übernehmen. Endlich hörten die blöden Schlagzeilen auf. Dann kam die Pandemie. Widmann meisterte sie trotz Anfeindungen und Gegenwind exzellent – jedenfalls wenn man die für einen politischen Verwalter unbedingt zu befolgenden Vorgaben des Staates als Messlatte nimmt.
Doch kaum ist Widmann fort und Kompatscher wieder am Ruder, beginnen die Negativschlagzeilen aufs Neue ins Kraut zu schießen. Etwa mit einem noch nie da gewesenen Personalloch bei Pflege- und Ärzte-Personal, das vom Süden her aufgefüllt wird. Was die mitteleuropäischen Medizin-Standards noch mehr erschüttern dürfte und den ethnischen Proporz im öffentlichen Gesundheitsdienst praktisch aushebelt. Oder die Hausärzte auf dem Land, die fehlen werden. Nicht, dass der damals gefeierte Erneuerer Kompatscher die Malaise nicht hätte sehen können.
Der erste Hilferuf trug schwarzes Haar und lautete auf den Namen Dr. Veronika Rogger. Eine mutige junge Ärztin, die in einem offenen Brief an die damalige Sanitätsspitze Theiner/Mayr den fachlichen Frust in Bezug auf die Facharztausbildung in Südtirol/Italien prägnant zum Ausdruck brachte. Das war 2012. Die Verantwortlichen von damals sagten verbindlichen Beistand zu und blieben nicht untätig. („Brauchen in Zukunft mehr Ärztinnen und Ärzte“). Dennoch scheint es nicht gereicht zu haben.
Das Problem stellte sich immer wieder aufs Neue. Auch die nachfolgende Administration von Arno Kompatscher mit Fliege-General Schael und Frau Martha am Steuerrad der Sanität gelobten Besserung. (Jungmediziner: Unterstützung bei Rückkehr nach Südtirol). Das war 2017. Großer Bahnhof, viel Dampf, kaum Zugkraft.
Jenseits der verwaltungstechnischen Hürden zeichnete sich im Hintergrund ab, dass die Ärztejugend, die in unserem kulturellen Mutterland herangebildet wird, ganz einfach höhere Standards ansetzt, als die «Provincia Autonoma di Bolzano» gewähren kann. Die ganze Südtiroler Sanität hängt ja zu 100% am römischen Tropf.
Wer nun nach Spuren sucht, ob sich die Gemengelage in den letzten sechs Jahren vielleicht verbessert hat, stößt auf ein leicht verstörendes Presseerzeugnis. Im November 2022 gibt sich die Verwaltungsspitze des Sanitätsbetriebes ein Stelldichein im landeseigenen NOI-Techpark in Bozen – nein, nicht um die akuten Engpässe zu beraten, sondern um einen abstrusen Plan für die Zukunft auszubreiten. Die diesbezügliche Pressemitteilung ist geradezu lesenswert, aber nur deshalb, weil sie einen rhetorischen Wust und sachlichen Leerlauf dokumentiert:
„Ziel der Veranstaltung war es, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, Szenarien zu antizipieren sowie die Vorteile und Herausforderungen der wohnortnahen Gesundheitsversorgung aufzuzeigen, die ja eine der Säulen des Wiederaufbauplans Gesundheit (PNRR – Nationaler Aufbau- und Resilienzplan) ist. Auch sollte die Wichtigkeit einer möglichst bürgernahen Gesundheitsversorgung sowie der Unterstützung der Patientinnen und Patienten und ihrer Familien unterstrichen werden. All dies mit dem Ziel, die Notaufnahmen sowie die Krankenhäuser zu entlasten und den enormen Arbeitsaufwand für Basisärzte und Kinderärzte freier Wahl zu verringern. Eine Netzwerkarbeit also, die auch die Sozialdienste sowie die sie umgebenden Bereiche des Freiwilligensektors mit einbezieht. Viele Fachleute, sei es aus dem Bereich Gesundheit, sei es aus anderen Bereichen, aus Südtirol und anderen Regionen Italiens, waren im NOI Tech Park zugegen. Thematisiert wurden unter anderem die neuen Infrastrukturen, die bis 2026 – auch dank der Mittel aus dem PNRR – errichtet werden sollen, wie etwa die Wohnortnahen Einsatzzentralen (WONE), [….]“
Da mag der Leser auch noch so geneigt sein, aber mehr Schwulst geht nicht: Beamten Bla. Funktionärs Bla. Planwirtschafts Bla. Kein Wunder, wenn da ein blonder Bannstrahl aus Innsbruck einschlägt.
Polemisch ausgedrückt, liegt das Problem des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Südtirol in einer selbstzufrieden dahin köchelnden Masse von politisch abgesicherten und mit allen Beamtenprivilegien ausgestatteten Medizinern und Verwaltungsspitzen, die sich in einem regionalen Monopolbetrieb verschanzen. Ärztemangel hin oder her, der Status Quo muss erhalten bleiben. Da braucht es keine obergscheiden Leute aus Innsbruck. Da braucht es eine Medical School of Bolzano, und die machen „wir“ selber.
Die Medical School, die andernorts bereits wieder eingemottet wird, ist auch so ein Plan der gegenwärtigen Verwaltung zur Behebung des provinziellen Ärztemangels. Eine solche «Knödel-Akademie» für Bergdoktoren würde glatt den Medizin-Standard wie vor 30 Jahren zementieren. Gestützt von der Italienischen Ärztekammer, die effiziente Sprachbarrieren gegen Norden in Schuss hält, und alle Schleusen gegen Süden sperrangelweit offenhält. (Also nicht «Knödel-Akademie», sondern «Spaghetti-Akademie» ?).
Alles das müsste ein politisch versierter Landeshauptmann, der seit 2014 die Strategie des Südtiroler Sanitätsbetriebes vorgibt, wissen und im kleinen Zeh fühlen. Aber Arno Kompatscher scheint anders zu ticken. Die Anpassung an Rom und die italienischen Standards – auch im sprachlichen Umgang mit den Patienten – scheinen ihm wichtiger zu sein als ein mitteleuropäischer Medizinstandard und die regionale Eigenständigkeit.