Die geschmorte Kalbsbrust ist ein aussterbendes Gericht. Seine Verächter verdienen sich nichts anderes als Laborfleisch.
Das Brustbein des Rind-Kalbes ist eine Fleischspezialität, die ohnehin nur mehr in ländlichen Metzgereien angeboten wird. In Mitteleuropa stehen die Chancen auf eine geschmorte Kalbsbrust gut. Die Zubereitung dieses Gerichts ist auf die alte Zeit abgestimmt, als der Holzherd mehr oder weniger den ganzen Tag lang befeuert wurde oder warm war. Da tat man die gesalzenen Fleischknochen mit etwas Gewex*) ins Rohr, goss etwas Wasser drauf und schaute das Reinl**) mindestens fünf Stunden lang nicht mehr an. Das Ergebnis war ein herrlich krustiges, butterweiches Kalbfleisch vom Bein, dessen reichliches Fett am Ende auch noch die Funktion einer Handcreme hatte.
Mein Kalbsbrust-Rezept
In der neuen Zeit, mit E-Herd und Tempo, ist die Zubereitung etwas differenzierter. Man gibt die Stücke in ein Reinl, setzt es mit ganz wenig Wasser auf kleiner Stufe auf und lässt die handbreit gehackten Stücke gut eine Stunde lang gehen und sanft anschmoren. Ziel ist, das reichlich vorhandene Fett auszulassen und eine Grundbräune für die spätere Soße zu gewinnen. Dann die Stücke aus dem Topf nehmen und das Gewex bei kräftiger Hitze im vorhandenen, ausgelassenen Kalbsfett anrösten. Nach kurzer Zeit mit Weißwein löschen, die Fleischstücke wieder dazugeben und mit reichlich Wasser aufgießen. Oben drüber graues Meersalz vom Atlantik streuen und weitere zwei Stunden bei kleiner Stufe schmoren lassen. Das Gewex besteht aus reichlich Zwiebeln (in Achtel geschnitten), Gelberüben und Sellerieknolle. Der Geschmackspurist lässt es damit gut sein. Wer mehr Würze mag, kann zum Gewex eine sonnenreife Tomate mit anrösten und gibt am Ende der Garzeit einige (kleine) Salbeiblätter und zwei Schnitz Zitronenschalen bei und gibt eine ’spolverata‘ vom weißen Pfeffer drüber.
Nachhaltiger geht’s nicht
Wie viele andere traditionelle Gerichte will auch die geschmorte Kalbsbrust nicht auf einmal aufgegessen sein. Der Schmortopf wird nach dem Essen kühlgestellt, was den Fettverächtern die Möglichkeit gibt, das gestockte Fett an der Oberfläche der Soße abzustreichen. Aufgewärmt schmeckt die Kalbsbrust noch einmal hervorragend. Es besteht auch die Möglichkeit, aus allen Resten eine Fleischsuppe (Bouillon) zu machen.
Dem Untergang geweiht
Aber es ist klar, dieses mitteleuropäische Gericht ist dem Untergang geweiht. Warum? Neben der Menge an reinem Fett muss man sich nur einmal den Aufbau der Stücke ansehen: Auf dem jungen Knochen sitzen Knorpel, und das Fleisch um das Bein herum ist vielschichtig, zwischen Muskelteilen, Fettschichten und -polstern, Bindegewebe und ähnlichen Wunderwerken der Anatomie. Wer sich so eine Kalbsbrust vornimmt, der weiß nicht nur, dass er Fleisch isst: er sieht es, er schmeckt es, und er kommt nicht ohne seine Hände und Finger aus. Am Ende bleibt noch ein ganzer Haufen Zeug über für Hund und Katz oder für eine Bouillon – problematisch nur, wenn alles in die Mülltonne soll. Also nix für den smarten Haushalt.
Alles andere ist Laborfleisch
Und während ich mit Hochgenuss das Brustbein des jungen Tieres abnage, stelle ich mir die anderen, die handelsüblichen, rosaroten Muskelstücke in der Plastikfolie im Supermarkt vor. Eigentlich ist das jetzt schon Laborfleisch. Die Leute kaufen Fleisch, wollen aber kein Fett, keine Knochen, kein Bindegewebe, keine „Zodern“, wie wir Tiroler sagen, ja sie wollen nicht einmal, dass es nach Fleisch schmeckt! Wie oft hört man beim Essen von Lammfleisch „Des tuet obo pockelen“, beim Essen von Schweinefleisch „Des tuet obo fockelen“. Und ist das Fleisch auch nur ansatzweise „al dente“, also bissfest, ist es für diese Banausen schon gleich „zach“. Ich meine, diese Leute, und das sind 95% aller Fleischkonsumenten, verdienen sich nichts anderes als Laborfleisch: Weil sie nichts anderes wollen. Also werden sie es bekommen.
Damit hört sich der Tier-Holocaust auf und unsereins genießt weiterhin die althergebrachten Gerichte. Wenn es dann noch Dorfmetzger gibt…
Gewex = Privatsprache für ‚Gewächs‘ mit der Bedeutung von Gemüse, Grünzeug.
Reinl = tirolisch für Kochtopf aus Eisen oder Stahl, rund oder rechteckig.
pockelen = tirolisch für ’nach Bock schmecken‘
fockelen = tirolisch für ’nach Schwein schmecken‘
Zodern = tirolisch für alles, was beim Essen von Muskelfleisch stört (Sehnen, Gallert, etc.)
zach = tirolisch für ‚zäh‘