RT DE ist ein Korrektiv – aber echt!
Begonnen zu lesen habe ich sie, als sie noch als «Russia Today» firmierte, damals im Jahr 2015. Die dargebrachten Ansichten zum Zeitgeschehen wirkten auf mich ziemlich exotisch und äußerst belebend, da sie diametral entgegengesetzt zu dem waren, was die US-amerikanisch durchtränkte Meinungsindustrie in der EU so alles brachte (und noch bringt). Klar, den politischen Vektor konnte man nicht übersehen, aber, wie das ZDF sagt, mit dem Zweiten (Auge) sieht man besser, auch wenn es schielt.
Als aus Russia Today RT DE wurde, und Dagmar Henn in ihrer Kritik an der Corona-Kampagne der Staaten und der Medizin einsame Höhen des praktischen intellektuellen Denkens erklomm, da begann ich, die Russenzeitung als ernsthafte Stimme in mein Portfolio aufzunehmen. So langsam verliebte ich mich in die Erzählweise der Russen. Da war und ist noch nichts von jenem schnoddrigen Stakkato auf Halbenglisch wie in «Bild» und Spiegel». Auch nichts von jener aufgesetzten Oberlehrersprache einer «Zeit» oder «NZZ». Die Russen sind nach Sprachführung, Wortmelodie und Metaphern in der Zeit Tolstojs, Tschaikowskis oder Bulgakows Zuhause. Ihr deutscher Ableger bemüht sich um eine gepflegte Übersetzung frei von lästigen Anglizismen. Die deutschen Mitarbeiter machen Klasse Journalismus. Dann kam die «militärische Spezialoperation». Seit dem 22. 02.2022 lese ich RT täglich. Ich muss es tun, denn ich bekomme vom anderen Ende her nichts als Schrott serviert. Mit der Russenzeitung kann ich das Bild von der Gesamtlage wenigstens halbwegs gerade rücken. Eine Gesamtlage, die längst über die schicksalhafte Menschenschlacht im Osten Europas hinausgeht.
Ob ich der «Putin-Propaganda» erliege? Kaum. Die wirtschaftlichen und die militärischen Tatsachen ebenso wie die manifesten Interessen der Weltprotagonisten sprechen eine deutliche und allen verständliche Sprache. Außerdem: Meister der Propaganda sind sie sowieso, die Russen, und das seit 1917: So bildmächtig, so pathetisch-poetisch, so literarisch. Das meine ich als Kompliment. Wenn, dann ist es die schönste «Desinformation», die man haben kann. Aber nein: Das Narrativ der Russen gründet in und überzeugt aus ihrer Geschichte und Tradition heraus. Sie sind der Gegenentwurf der US-amerikanischen Lebensweise, in der mittlerweile der Götze Konsum von vielen selbstzerstörerischen Exzessen überlagert ist.
Es ist das große Versagen der Medien in Zentraleuropa (ehemals «freier Westen»), dass sie die Umwälzungen, die derzeit auf geopolitischer Ebene vor sich gehen, mit billigen Propaganda-Klatschen abtun und ihre Leser damit um Erkenntnisfähigkeit betrügen. Da heißt es ungerührt «Lügen-Lawrow» über den honorigen Außenminister der Föderation. Von den Epitaphen für den russischen Präsidenten ganz zu schweigen. Der Vergeltungskrieg der Israelis ist schonende Selbstverteidigung, die Gaza-Guerillas vom 7. Oktober 2023 sind «Sadisten» und «Tiere» – jeder der etwas anderes sieht, ist ein «Antisemit» und «Judenhasser». Mächte und Medien, die diese Interpretation der Dinge haben, sind gerade dabei, die Welt in einen Dritten Weltkrieg zu hetzen. Auf dass ihnen die Besonnenen nicht auf den Leim gehen mögen. In dieser Hochspannung tut eine zweite und entschieden andere Sicht nicht nur der Übersicht, sondern auch der Seele gut. Und ja, Maria Sacharowa ist eine gewinnende, aparte Regierungssprecherin. Die gefällt mir nämlich auch.