MERAN im Jahr 1836. Die Cholera bricht aus. Der städtische Zivil-Ingenieur Jordan führt Tagebuch. Es beginnt am 10. August.
10. August nachts 1/2 10 Uhr.
Heute morgens nach der Frühmeß um 5 Uhr wurde die am Sonntag verkündete Prozession nach St. Leonhard außer den Kapuzinern abgehalten. Eine Menge Menschen, Bürger und gemeines Volk, davon mehr als die Hälfte Frauenspersonen begleiteten dieselbe. Auch der Bürgermeister Jos. Valentin Haller ging mit, jedoch nur bis zu den Kapuzinern, dort blieb er zurück. Hernach tadelten manche die Veranstaltung dieser Prozession, da man geradezu der Cholera entgegen ging und solcherart üble, gesundheitliche Folgen heraufbeschwor.
Im nahen Algund war nämlich die Cholera bereits heftig ausgebrochen. Der nicht unweit gelegene Haarwaal ist bekanntlich der niedrigste Punkt, wo alle Wasser einfließen und wo deshalb Dämpfe und Nebel zu Hause sind und der meiste Tau fällt. Die allgemeine Frage war nun, wie schaut es in Algund aus? Seit gestern ist Gottlob kein neuer Todesfall bekannt geworden.
Hingegen hörte man, daß die Krankheit bereits seit drei Tagen in Bozen eingebrochen sei und schon Opfer gefordert habe, wie den Schwertfeger, sein Weib und andere.
Gegen 10 Uhr vormittags hörte man, daß im Vinschgau die dortige Nervenkrankheit stark hause, namentlich in Mals, wo am Sonntag acht Personen starben, während in Goldern fünf Personen zum Opfer fielen.
Noch vor 11 Uhr mittags hörte man von neuen Erkrankungs- ja Todesfällen in Algund und vom Walkner in Gratsch. Nach Tisch wurde erzählt, daß zwei Knechte, die gestern Wein in die Stadt herabführten, gestorben seien.
Noch mehr, der Dr. Feiertag habe sich ebenfalls gelegt. Um 1 Uhr vernahm man, daß sich auch der Dr. oder Chirurg von Algund mit Frau und Kind gelegt habe. Die Krankheit zeigt sich mit Durchfall, aber mit wenig Grimmen. Also klar die Cholera in Meran.
Es verbreitet sich nunmehr ein ernstlicher Schrecken in der Stadt, in den Gassen und Lauben stehen Gruppen von Menschen, von früh bis nachts reden die Leute von nichts anderem als von der Cholera.
Desungeachtet kamen heute Fremde an, sich hier aufzuhalten. Man erzahlte auch von zwei Fällen auf Tirol, wo zweien Weibspersonen in der Kirche übel wurde.
11. August.
Morgens hörten wir, daß die Krankheit heute auch in Basling bei Tscherms ausgebrochen sei, ja etwas später sollen drei Personen in Marling gestorben sein. Durch den Arzt erfuhr ich, daß in Algund zwei Personen gestorben sind. Bis Mittag hörte man nichts. Allein nach Tisch erfuhr ich, daß soeben die gewesene Sattlermeisterin Ploner geborene von Gruber von Lana auf dem Cholerasessel ins Spital getragen worden sei.
Auch in Obermais kamen zwei Fälle vor. Nun wurde dreimal in einer Stunde die Sterbeglocke geläutet und zwar für zwei Personen im Spital sowie für den Spitalmüller.
Die tödliche Erkrankung des letzteren war dermaßen auffallend, daß sich jedermann von der Cholera überzeugte. Der Spitalmüller war nämlich gestern im Badl auf der Töll gewesen, und dann lustig heimwärts gegangen. Als er durch Algund ging, alterierte er sich sehr, dazu beging er noch die Torheit, wegen der Hitze im Spitalbach zu baden, wodurch er sich die Krankheit zuzog.
Nachmittags mußten von den Wiesen drei Menschen nach Hause getragen werden, weil ihnen übel geworden war. In Algund sind wieder einige Personen von der Seuche ergriffen worden. Man wird hier ganz niedergeschlagen. Die Apotheken haben vollauf zu tun, die Gramillen — so viel sie sonst deren hatten — waren fast alle verkauft.
12. August 6 Uhr.
Heute morgens hörte man schon von Todesfällen in Mais und Algund. Wie an einem Feiertag ziehen viele Leute hin und her. In der Stadt ist noch alles öffentlich gesund. Um 8 Uhr kam die Nachricht, daß gestern drei Personen in Mais und eine Person im Choleraspital auf der Mauer an der Passer gestorben sind.
Unter ersterem befand sich der junge Gruber, der holte um 5 Uhr abends für seinen alten, kranken Vater Medizin in der Apotheke. Auf dem Heimweg ergriff es ihn und er starb in wenigen Stunden. Von Algund hört man schlechte Nachrichten, von vielen Toten und noch mehr Kranken. Die Leute murren, denn nirgends sieht man einen Beistand, der Landrichter sagt, daß besondere Anstalten nicht erlaubt seien.
4 Uhr nachmittags. Man versieht selbst mit letzter Ölung zwei Cholerakranke in der Stadt, ein gemeines Mädel sowie eine Schloßmeisterin. Letztere war um 10 Uhr Vormittag noch beim Brunnen, eine Viertelstunde hernach schon im Bett. Ich erzähle hier bloß einige Mängel. In Algund ließ man beim Pföstlhofer das Weib vier Tage lang liegen, um beide zugleich beerdigen zu können.
Die Totenmahle, Pitschen, mußten aber getreulich gehalten werden, zumal der Pfarrer den Wein hiezu in seinem Widum verkauft. Das Lauten und Schellen hat kein End, immer noch hält man Prozessionen ab, anstatt sie zu verhindern.
Für Arme tut man nichts, sodaß ein Huter gestern bei uns bald verhungert wäre. In keiner Weise geschieht eine Aufmunterung, Anweisung oder Aushilfe. Ich erfahre soeben, daß viele Leute, besonders Mädchen das Abweichen mit Grimmen haben, bloß aus Furcht.
Ungeachtet des zweimaligen Regens ist es dunstig, 20° Wärme im Schatten, die Nachtlüfte sind kühl.
9 Uhr vormittags. Man hört von keinem neuen Falle, man bekümmert sich bereits weniger um die Nachbarschaft, da man zu sehr um die Stadt besorgt ist. Schon vor sechs Tagen ergaben sich auf Völlan vier Cholerafälle in einem Hause, aber durch die schnelle Hille des Kuraten, der ihnen Theriak und Schweißen verordnete, wurden die Kranken gerettet. Auch in Aschbach ist die Krankheit aufgetreten.
12. August 5 Uhr früh.
Gestern nachts starben hier zwei Personen, eine Magd, die um 5 Uhr abends noch gesund war und eine alte Bäuerin wegen Schwäche. Überhaupt muß bemerkt werden, daß die Cholera alle bresthaften Leute vor den gesunden ergreift.
7 Uhr vormittags. Die vorgenannte Magd trug eine Kreb Brot zum Malanottihof in Tscherms. Dabei bekam sie sehr warm, trank dann in der Hitze in Tscherms etwas Wein, worauf sie heimwärts bereits Halsschmerzen verspürte. In der Stadt ward sie vollends von der Krankheit ergriffen, sie fiel im Abtritt zusammen und jede weitere Hilfe war umsonst.
10 Uhr. Im Landgericht hält der Kreishauptmann mit dem Distriktsarzt Dr. Gasteiger, mit zwei Magistratsräten, dem Pfarrer und Landrichter eine Konferenz, an welcher der Bürgermeister nicht teilnahm. Es wurde endlich einiges erzweckt. Es soll nämlich künftighin die Sterbeglocke nur mehr zweimal im Tage geläutet werden. Für die Choleratoten wird nicht mehr Schiedum und auch nicht mehr zum Begräbnisse geläutet. Die Toten werden in der St. Leonhardskirche ausgesetzt. Als Begräbnisstätte wurde der Platz an der Kapuzinermauer auf der Steinhuberwies bestimmt.
6 Uhr nachmittags. Obige Magd wurde soeben ohne Geläute auf dem Freithof begraben, desungeachtet gingen viele Leute mit der Leiche. In Mais hat es mehrere Personen heftig gepackt, in Algund hat es etwas nachgelassen.
13. August.
In Mais starben drei Personen, in Marling eine, in Algund acht. Hier packte es den Schgörwirt, seinen Hausknecht und noch zwei, darunter eine Bäckerdirn beim Figlbäck, weil sie nach Algund gegangen war.
14. August Sonntag.
Die Geistlichen haben vollauf zu tun. Das gemeine Volk, auch andere laufen beichten und kirchfahrten nach Riffian und Lana, sodaß der provisorische Landrichter von Lana, um einer etwaigen Ansteckung vorzubeugen, diesen Zudrang verbieten wollte. Die Leute aber gaben zur Antwort, man solle das Beten und Beichten nicht verhindern. Der Richter drohte, einzuschreiten.
In Riffian wurde richtig der Oberwirt angesteckt, sodaß er jetzt liegt. Von Schönna hört man nichts, ebensowenig von Gargazzon, Burgstall und Partschins. In Mais nahm es sehr überhand. In Algund steht es ebenfalls schlecht. Dort gab es von gestern und heut Nacht vier Tote, im ganzen jetzt zehn, dazu viele Kranke.
15. August, Mariä Himmelfahrt,
Dr. Huber, der Leibarzt der Fürstin Mathilde von Schwarzenberg, die sich hier aufhält, hat in menschenfreundlicher Weise seine Hilfe jedermann angeboten. Er hat auch die oberwähnte Bäckerdirn behandelt, konnte sie aber trotz seiner größtmöglichen Anstrengungen und Frottierungen nicht mehr retten. Nach seinem Ausspruche war sie eigentlich die erste Person in Meran, welche die wahre Cholera im höchsten Grade bekommen hat. Sie beging den Fehler, wegen des Durchfalles aus dem Bette auf den kalten Estrich herauszutreten, worauf sich augenblicklich Krämpfe einstellten, die von morgens bis 4 Uhr abends dauerten und denen sie schießlich erlag. Dr. Huber ließ sie an beiden Armen zur Ader, es floß aber kein Blut mehr, sie erstarrte und erkaltete. In Mais liegen sehr viele Kranke, fünf Personen sind gestorben, in Algund gab es neun Todesfälle.
Selbst in der Stadt gibt es noch so dumme Leute, die über die getroffenen Anstalten betreffend Läuten, Begräbnisse schimpfen. Vorgestern ließ der Landrichter dem Bürgermeister in Saltaus das Dekret behändigen, in die Stadt zu kommen, um die Handhabung der polizeilichen Anordnungen zu beaufsichtigen. Der Bürgermeister soll dabei geschimpft und gestampft haben, alles schimpft aber auch über ihn.
Zum Versehen wird nicht mehr ausgeläutet, ebenso in Mais. Selbst bei Begräbnissen sind die Leute dort jetzt vorsichtiger, gestern gingen nur vier Menschen mit, die Leute erklärten aber, daß man als heute die Prozession halten würde, wenn auch kein Geistlicher mitginge. Vorgestern führte man in Algund zum erstenmal in einem Wagen vier Tote auf den Freithof. Das Nagl- und Pföstlhoferhaus standen viele Stunden offen, weil niemand es wagte, hinein zu gehen, wenngleich drinnen mehreres Geld vorfindig war. In Algund ist beinahe kein Haus ohne Kranke, bis vorgestern nachts sind dort 50 Personen gestorben, heute wiederum neun. In der Stadt ist heute kein neuer Fall bekannt geworden. Dr. Gasteiger mußte sich heute ebenfalls legen, teils infolge Erschöpfung durch die Strapazen, teils weil er selber den Friesel schon einige Tage herumtrug, teils weil es auch seine Tochter und seinen Knecht ergriffen hat. Die mehrerwähnte Bäckendirn sollte eigentlich als erste bei St. Leonhard beerdigt werden. Sie wurde aber um halb 7 Uhr abends ohne Geläute hier „mit vielem Volke“ begraben. Die Apotheken müssen jetzt um 4 Uhr morgens öffnen und um 10 Uhr nachts schließen.
16. August, Rochustag.
Heute ging eine Kurrende des Magistrates herum, welche Anordnungen über Beerdigungen und über sofortige Anzeige von Erkrankungsfällen enthielt. Heute gab es in der Stadt einige leichte und schwere Erkrankungen. Seit fünf Tagen brauchte die obere Apotheke allein 500 Signaturen. Dr. Huber erklärt durchaus alle Fälle bis auf jenen der Bäckendirn und bis auf einige in Algund nicht als Cholerafälle, sondern als bösartige Diarrhöe.
7 Uhr abends. Der Sohn des Dr. Gasteiger, ein absolvierter Mediziner ist heute nach wenigen Stunden, ganz unerwartet zu Hause an der wahren Cholera gestorben, während sein Vater, eine Schwester und ein Knecht schwer krank liegen. Heute starben in Mais zehn und in Algund vier Personen. In der Stadt liegen der Knecht und die Ladenjungfer beim Verdroß sehr krank darnieder. Sie haben wie viele andere den giftigen Friesel, der so leicht einwärts schlagt und zum sicheren Tode führt.
17. August 8 Uhr morgens.
Heute liegen in Mais 13 Personen auf dem Rechbrett, darunter auch der Gasteigerknecht. In Algund läßt die Sterblichkeit nach, doch gibt es dort immerhin noch. 90 Kranke. Heute starben in Mais sechs, in Algund vier Personen.
18. August.
In der Stadt ist heute alles munter. Man redet beinahe nichts mehr von der Krankheit. In Mais starb ein Knecht und in Algund der Sohn vom Oberdorner. Um 7 Uhr abends starb plötzlich der Chirurg Abertshauser. Auch zwei andere gemeine Leute sind im Stainach gestorben.
19. August.
Heute sind in der Stadt wieder mehrere Personen erkrankt. So richtig es ausgemacht war, daß die Choleratoten nach St. Leonhard kommen sollten, so wurde doch der Chirurg Albertshauser als ein bekannter betender Aristokrat benebst zwei anderen minderen Personen in der St. Barbara-Kapelle ausgesetzt. Es starben auch zwei Kinder. Man wird wieder etwas stumpfer, jedoch, was die Bescheideneren waren, die fürchteten sich nicht, und es ging jeder seiner Arbeit nach. Im Stainach gibt es mehrere Kranke, aber nur alte. In Algund und Plars sind 84 Personen krank. In Marling gibt es jetzt viele Kranke, heute auch einige Tote, in Mais einen Todesfall. In Naturns gibt es gleichfalls mehrere Kranke und überdem zwei Tote. Von Burgstall und Gargazzon hört man noch immer nichts.
20. August, morgens.
In Mais starben sechs Personen, darunter zwei Cholerakranke. Einen baumstarken Knecht zerriß es gleichsam in drei Stunden, in Algund starben wieder vier Personen, Dort ist ein Doktor aus Bozen zu Aushilfe, weil Dr. Gasteiger noch liegt. Dr. Feiertag stand gestern auf und besucht wieder Kranke. Die Ärzte erlaubten sogar dem Bauerndoktor Mördererhans von Passeier, daß er seine Kuren in Algund ausübe. In Mais liegen derzeit 50 Kranke.
In der Stadt ist es wieder ruhiger. Man sieht wohl manchmal wie ein Geistlicher im Chorrock und der Mesner mit der Laterne durch die Lauben zum Versehen gehen, aber es geschieht stille und man gewöhnt sich daran. Im Spital sterben aber alle Cholerakranken.
21. August, 5 Uhr morgens.
Heute wurden schon die Toten der Barbara-Kapelle begraben. In Mais starben bis heute 50 Personen und zwar fast alle von Untermais. Im Stainach ist es jetzt besser, wiewohl viele krank liegen. Der unermüdliche Dr. Huber besuchte gestern bei 50 Kranke, von denen er drei wieder ohne weiteres aufstehen hieß, da ihnen nichts fehle. Zwei von ihnen spielten nachmittags schon Karten.
Für Meran ist der heurige Krankheitszustand ein großer Schaden, denn ungemein viel Fremde sind seit acht Tagen in Innsbruck angekommen und wollten hieher kommen, so aber stockt dort alles. In Algund sind nun zusammen 84 Personen gestorben. In Marling sterben täglich zwei bis vier Personen.
22. August, früh.
Es sind hier einige Personen gestorben, darunter die junge, edle Gräfin von Stachlburg verehelichte Baronin Schneeburg. Vor acht Tagen schwebte sie wegen der Entbindung in Todesgefahr, heute nachts um 12 Uhr ergriff sie die Cholera und um 4 Uhr morgens war sie eine Leiche.
Die Kapuziner wurden in der Nacht zehnmal gerufen, überall liegen Kranke. Die Ärzte sind Tag und Nacht auf dem Wege, die Apotheken arbeiten fast ohne Ruhe.
10 Uhr vormittags. Die Krankheit nimmt in der Stadt zu. Der Apotheker beklagt sich zu mir, daß er und seine Gehilfen es nicht mehr „ermachen“. Ich selbst sah den Tisch voller Rezepte und diese sogar aufeinandergestellt. Augenblicklich herrscht in der Stadt die echte Cholera. Eine Schlosserin spielte, mit ihrem Kinde in der Stube. Plötzlich rief sie „nehmt mir das Kind aus den Armen, sonst muß ich es fallen lassen. Es ist mir etwas durch den ganzen Leib geschossen.‘ Zum Glück befand sich der Mann in der Werkstätte, der hörte ihre Worte, verstand sofort, worauf das ganze hinausging, lief herbei und hob sie samt den Kleidern ins Bett. Dann machte er ihr sofort warme Überschläge mit Grischen, frottierte (rieb) ihre Schenkel und Füße, die schon kalt zu werden drohten, so stark er konnte. Von Zeit zu Zeit rieb er in die Biegungsglieder einige Tropfen Essig, so auch in der Herzgrube, wo er ihr geradezu Flecken aufrieb. Dies spürte sie nicht, wohl aber den Essig und solcherart rettete er sie, bis der unvernünftige Doktor kam, der zuschaute und nichts wußte.
Auffallend ist, daß sich die Kranken äußerst hart erholen, sie müssen sich wie Kindsbetterinnen halten.
23. August.
Heute vormittags findet in Riffian eine Prozession mit dem Muttergottesbilde statt, das seit den Franzosenzeiten nicht mehr umgetragen worden ist. Wieder neue Erkrankungen im der Stadt, aber großenteils nicht gefährliche. Wiewohl die Gräfin Stachiburg die wirkliche Cholera im zweiten Grade hatte und daran starb, wurde sie doch nicht aus dem Hause (Kallmünz) getragen und mit gewöhnlichem Zeremoniell begraben. Nach den polizeilichen Vorschriften hätte man sie ins Totenhaus — nunmehr neben der Pfarrkirche im Bau — tragen und bei St. Leonhard beerdigen müssen.
Der Dechant hat noch nie ungeachtet des Befehles des Kreishauptmanns Graf Klemens von Brandis angefangen, die Toten hinaus zu begraben und hat auch den Platz noch nicht einmal eingesegnet.
Gestern starb hier ein Tagwerker der Stadt, der die Cholerine hatte. Auf die Krankheitsanzeige hin waren die Sesselträger mit dem Sessel zum Kranken geeilt, um ihn ins Spital zu befördern. Sein Weib aber erwiderte, sie lasse ihn nicht fort, sie werde für ihn schon selbst sorgen. Hiemit hatte sie wohl auch recht, denn von 18 sind dort 17 gestorben. Das Weib mußte dann einen Gang machen. Die Wächter beobachteten das, eilten neuerlich mit dem Sessel herbei, holten den Kranken aus dem Bette und trugen ihn hinaus ins Spital, wo er dann auch bald starb. Als das Weib später nach Hause kam und den Mann nicht mehr antraf, eilte sie nach, erkrankte selbst und starb heute ebenfalls. Der Magistrat hat nämlich die Verfügung getroffen, daß, sobald eine mindere Person, ein Armer, ein Tagwerker u. dgl. von der Cholera ergriffen wird, sie sofort ins Spital zu befördern sei. Zu diesem Ende wurden einige elende Kerls bestellt. Tag und Nacht stand beim Rathaus zu ebener Erde ein Sessel ohne Vorhang, ohne Vorrichtung gegen das Herausfallen, kaum so gut, daß er nicht selber zerbrach. Auf der Patrei des Rathauses saß einer der zwei Träger wie eine Schildwache. Diesen Sessel wollten vor einigen Tagen sogar die Maiser reklamieren.
In Mais wurde heute wegen der zahlreichen Toten und Kranken den ganzen Tag sei es zum Versehen, zum Schiedum, oder zur Begräbnis geläutet.
24. August.
Auf dem Lande, besonders in Untermais schaut es sehr schlecht aus, bis heute Abend starben dort insgesamt 65 Personen, in Algund 90. In Tscherms und Marling ist es stärker als zuvor. In der Stadt gibt es wohl viele Kranke, jedoch starben nur ein bis zwei Personen, selten mehr und fast immer nur alte oder vernachlässigte Leute.
25. August, morgens. In Mais gibt es wieder viele Kranke. So auch in Algund, wo sich die Petetschen (?) zeigen. Es kam auch der Fall vor, daß der Arzt der Winterlehäuserin einen Löffel voll Wein erlaubte, sie wurde augenblicklich matt, Krämpfe stellten sich ein und sie starb nach zwei Stunden. Wenn man der Krankheit genau nachfragt, so zeigt sich fast bei jeden der Toten, daß derselbe einen Fehler beging, entweder hatte er schon Tage lang den Durchfall, ohne daß er etwas verlauten ließ, vermeinend es sei heuer so wie voriges Jahr oder er befand sich im Schweißzustande und ging wie gewöhnlich auf dem kalten Boden zum Abtritt oder er war rekonvaleszent und aß oder trank etwas, das er nicht sollte.
Von der wahren Cholera wurden nur wenige Personen vielleicht, wenn man alles wüßte, gar niemand befallen. Die Krankheit, nämlich die sogenannte Cholerine tritt im ersten Grade mit Durchfall, im zweiten mit Brechen, im dritten Grade mit Grimmen auf. Die echte Cholera tritt mit Krämpfen auf.
26. August.
Seit acht Tagen besteht hier die Einrichtung, daß vier Totenträger die Toten in ihren Särgen auf einer Bahre mit übergelegten Tuch aus den Häusern abholen ohne alles Getöse und ohne Begleitung oder Geläute und dieselben ins Bauhaus stellen bis zum Begräbnis, bei welchem alle zugleich nach einander beerdigt werden. Dies ist ein widriger Anblick, aber in sanitärer Hinsicht gut. (Seite 65)
27. August.
Heute starben sechs Personen in Mais, zwei in Meran, sieben in Algund und vier in Marling, im ganzen sind bis jetzt in Mais 82 und in Algund 93 Personen der Seuche erlegen. In Algund starb abends schnell ein Saltner; er kam gerade noch bis zum Pummenstuck und dort starb er.
28. August, Sonntag.
Heute starb abends schnell die Tumlerbäckin. Also Cholera. Wenn nur auf dem Lande das unausgesetzte Läuten abgestellt würde, denn es macht die Leute verzagt. Die Knechte und Tagwerker arbeiten nichts mehr. Man hört allenthalben sagen, morgen triffts vielleicht mich, warum soll ich heute noch arbeiten. In Mais starben vier Personen, darunter der Maiser Geistliche Peter.
29. August.
Heute herrscht ein gewaltiger Dunst. Vor einigen Tagen erhielten die Ärzte eine Kurrende, derzufolge sie, wenn sie ein drittes Mal zu einem Kranken gerufen werden, ihn versehen lassen müssen. In Terlan ist die Krankheit plötzlich, aber heftig ausgebrochen. Alle Arzte verbieten jetzt endlich auf mein vieles Schreien hin den Genuß des freien, rohen Wassers. Offenbar ist die Krankheit seinerzeit in Algund in jenem Winkel ausgebrochen, wo das schlechteste Wasser ist. Untermais hat endlich außer Bachwasser überhaupt kein Wasser. Im ganzen hat sich gezeigt, daß die Krankheit alle unregelmäßig lebenden Menschen vor den anderen ergreift und daß die Frauenspersonen eher als die Mannsbilder angefallen werden und zwar im Verhältnis von zwei Drittel zu ein Drittel. Offenbar tritt die Krankheit dort früher auf, wo kein gutes Wasser ist, wie zum Beispiel im Stainach, in Algund und in Untermais, besonders wirkt sie auf die alten, bresthaften Menschen. Daß die contagiös ist, steht außer Zweifel, denn ganze Häuser sind ausgestorben, wie beim Pföstlhofer und Nagl in Algund. In Meran hat es alle Bäckendirnen vorzüglich gepackt. Alle Menschen empfinden seit zwei Monaten unwillkürlich Leibsermattung und Kopfweh.
Offenbar bekommen die Landleute früher die Cholera als die Stadtbewohner. Die wirklich cholerischen Personen werden schon vor dem Hinscheiden blau, fast schwarz auf den Lippen. Ich ziehe den Schluß, daß unsere Erde mit einem Dunstkreis umgeben ist, der schädliche Ingredienzien enthält und je nachdem Zeit und Umstände zutreffen, als giftiger Tau sich niedersenkt und von den Menschen eingeatmet wird.
30. August.
In Meran starben gestern zwei Personen, darunter eine Magd bei Herrn Jörger, Kaufmann. Diese hatte die wirkliche Cholera, sie war in acht Stunden lebend und tot.
Gestern abends und heute hat es geregnet. Offenbar ist das gut, denn es säubert die Luft. Gestern reiste der Kreishauptmann ins Vinschgau, da die Cholera in Kortsch etc. sehr stark hause.
31. August.
Heute herrscht eine herrliche, reine Luft, noch nie war der Sonnenschein so klar, wie heute. In Mais starben zwei Personen. Alles ist fröhlicher, man fängt wieder an zu arbeiten. Es ereignen sich wohl täglich neue Anfälle, allein höchstens zwei bis drei.
Der reiche Putzbäck hatte bereits den ganzen Tag Durchfall, ließ aber den Arzt nicht rufen. Nachts zeigten sich Krämpfe. Der Fürst Schwarzenbergische Arzt Dr. Huber eilte sofort zu ihm.
Fortsetzung HIER
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QUELLE
Das Seuchentagebuch von Jordan wurde vom angesehenen Heimatkundler Richard Staffler einer breiteren Leserschaft zugeführt in dem Buch: Meran: hundert Jahre Kurort 1836 – 1936 ; Festschrift der alten Hauptstadt des Landes zum hundertjährigen Bestande als Kurort, hrsg. von Bruno Pokorny, 1936, Innsbruck Verlag Wagner. Der Aufsatz nennt sich „Das Cholerjahr 1836 im Burggrafenamte. Von Richard Staffler.“, Seiten 59-68.
Das Manuskript „Die Cholera in Meran und Gegend im J. 1836“ mit der Bezeichnung ß 42/4 erliegt im Meraner städtischen Museum, notiert R. Staffler.
Ermöglicht hat diesen Beitrag die Landesbibliothek Friedrich Tessmann mit der Digitalisierung ihres Bestandes, dafür herzlichen Dank.