Du sollst nicht töten. Ein uraltes Gebot, gesagt von einer jungen Stimme. Raffaela Raab mischt ebenso bequeme wie falsche Gewohnheiten auf. Hochwirksam im Auftritt.
Raffalea Raab ist jung, apart, Schnelldenkerin und Schnellsprecherin, Ärztin und Vorzeige-Mädel der Tik-Tok-Generation: Mit ihren flammenden Appellen gegen das Schlachten von Tieren bringt sie vorzugsweise fleischlich beleibte, ältere Herren auf die sprichwörtliche Palme: So gesehen bei Gerald Grosz (oe24 auf YT) bei Roland Tichy und bei Fritz Goergen, der ihren Fernsehauftritt bei Servus-TV in Grund und Boden rezensiert.
Die Raab gefällt mir
Ich muss gestehen, die junge, zierliche Frau gefällt mir nicht schlecht. Eigentlich ausgesprochen gut. Mutig ist sie. Wirken tut sie. Die hat was drauf, lange, bevor es zu den Inhalten kommt. Am tollsten sind ihre gespielten Nackenlockerungsübungen, während ihr Gegenüber spricht. Nur angedeutet, ein leichtes, fast unmerkliches Hin und Herwippen des Kopfes bei völlig unbeteiligtem Gesichtsausdruck. Wie um zu sagen: ‚Wenn du fertig hast, alter Sack*, lass es mich wissen, ich tu derweil etwas Gescheites‘. Höchst effizient.
* (Der Verfasser dieser Zeilen wäre auch so einer…)
Gewehr feuert Logik
Dann tut sie den Mund auf, schießt los. Garantiert sind unter den ersten 10 Wörtern Ausdrücke wie ‚logischer Fehlschluss‘ oder ‚Widerspruch‘. Das erinnert mich verdammt an meine eigene intellektuelle Arroganz als junger Mann (es ist die Arroganz der Jugend), als ich unter links eingestellten Gleichaltrigen Stalin rechtfertigte und den dialektisch historischen Materialismus verteidigte und damit stets als Sieger vom Platz ging – allerdings nur als rhetorischer. Es waren nicht meine Argumente, die überzeugten, sondern die Ermüdung der anderen und ihre Einsicht in die Unbezwingbarkeit meiner Dummheit, die das Ende der Diskussionen meist schnell herbeiführte. Aber zurück zur ‚militanten‘ Veganerin Raab. Mit Klauen und Zähnen streitet sie für die Gewaltlosigkeit gegenüber Tieren. Zu diesen Klauen gehört auch die rhetorische Waffe, jemanden einen «logischen Fehlschluss» ins Gesicht zu schleudern. Die Wirkung dieser Waffe ist zweifach: Einmal verunsichert sie das Gegenüber psychologisch (‚Hilfe, hab ich jetzt nicht aufgepasst?‘); zweitens bewirkt diese Waffe, dass es am Angesprochenen liegt, nachzuweisen, dass er KEINEN Fehlschluss begangen hat. Das kostet Zeit, lenkt ab und bringt der Angreiferin Pluspunkte (‚Weiß die etwas, was ich nicht weiß?‘; ‚Oh, die ist aber geschult!‘). Mithin ist diese Streit-Technik auch ein Ausüben von Gewalt, wenn man es mit der Gewaltlosigkeit ganz genau nehmen möchte. Aber heilig will sie ja nicht sein, die Johanna der Schlachthöfe (Brecht).
Das Holocaust-Wort
Und wenn die Raffaela Raab jetzt inhaltlich noch den «Holocaust an Tieren» drauflegt, dann hat sie schon fast gewonnen, denn die älteren, von Schnitzeln und «Rindsuppe» leicht füllig gewordenen Herren drehen sich dann auf einmal wie ein dicker Döner Kebab-Spieß in Lichtgeschwindigkeit um die eigene Achse. «Halt, Stopp, wir haben in Österreich ein Verbotsgesetz!» springt Gerald Grosz wie von der Tarantel gestochen von seinem Studiohocker auf. Und Tichy reagiert bei Servus nicht viel anders.
Die Raab bleibt kühl bis ins Herz hinein. «Und jetzt, wo wir uns genügend emotionalisiert haben» …können wir weitermachen. Oder: «So, wenn wir jetzt die Ad-Hominem-Attacs hinter uns haben…». Raffaelas Punkt ist: Der Mensch hat eben keine Sonder- und Ausnahmestellung vor anderen denkenden und fühlenden Tieren einzunehmen. Dass Tiere zum lustvollen Verzehr zu Millionen und Abermillionen in die Schlachthöfe getrieben und dort industriell getötet werden, das kann niemand so leicht leugnen. Es ist «ein Holocaust an den Tieren» (Raffaela Raab). Diese radikale Aussage («ich wurde auch schon angezeigt») gewinnt sogar noch an Gewicht, wenn man die Prämisse der gemeinsamen Schöpfung gelten lässt, wie sie etwa im Buch Genesis der Bibel festgeschrieben ist. Mehrfach ist dort nicht nur die Gleichartigkeit von Mensch und Tier verankert, sondern , volendo, auch die vegane Ernährung, etwa in dem Satz: « Allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung» (Gen 1,30).
Andernfalls, wenn der Begriff Holocaust nur für eine ausgesuchte Anzahl und Art von Menschen gültig sein sollte, dann müsste man den Menschen als eine höhere, nicht in Frage zu stellende Gattung von Lebewesen ansehen, die mit den übrigen Lebewesen aber machen darf, was ihr beliebt – also auch, die schutzbefohlenen Tiere massenhaft zu töten.
Selbst Gott bereute
Diese elitäre und grausame Vorstellung von der eigenen Unfehlbarkeit stellt sich sogar über Gott. Der biblische Gott hat den Menschen geheißen, von den Früchten des Feldes zu essen. Er selber war dann etwas inkonsequent. Ihm hat es bald leid getan, den Menschen erschaffen zu haben. Deswegen schickte er die Sintflut, um alles Leben zu vernichten, außer Noach und die Tiere. Als das große Wasser wieder weg war, da stieg ihm der «beruhigende Duft» von den Tieropfern in die Nase, die ihm Noach uns seine Söhne darbrachten. Also schloss Gott mit seinen neuen Menschen und den Tieren (!) einen Bund (sichtbar im Regenbogen, ganz nebenbei). Aber der Schöpfer der Welt machte sich hinfort keine Illusionen mehr über seine speziellen Zweibeiner: «das Trachten des Menschen ist böse von Jugend an» (Gen 8,21). Somit steht Raffaela Raab, auch wenn sie sich betont agnostisch gibt, doch auf einem sehr alten, um nicht zu sagen, heiligen Boden. Dabei hat die junge Frau den Wortstein «Holocaust» sicher auch taktisch in den See geschmissen, wohl wissend um die äußerst berechenbaren Wellen, die er auslöst. Die ganze «Nazi»-Industrie läuft doch wie geschmiert nach der gleichen Masche, seit die Alliierten den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben. Rein marketing- und kommunikationspolitisch gesehen sind bestimmte Reizworte bares Geld, und davon ist der heilige Begriff Holocaust leider nicht verschont geblieben.
Die Tik-Tok-Kanzel
Somit erleben wir mit Raffaela Raab eine neue social-media-getrimmte Auflage der seit ewigen Zeiten aktuellen und fortdauernden Gewissensqual zwischen leben, leben lassen, töten und überleben. Nicht nur Gandhi, Shaw, Tolstoi, nicht nur Buddha und aber tausend andere haben die Gewalt des Menschen gegen sich selbst und gegen das Tier verabscheut und versucht, es besser zu machen. Am Anfang der westlichen Tradition stehen die Zehn Gebote. und das Fünfte heißt: «Du sollst nicht töten». O-Ton Raffaela Raab (ich zitiere aus dem Gedächtnis): «Was wäre, wenn Jesus das Lamm nicht in den Arm genommen, sondern auf den Grill geschmissen hätte?» Leute, wir müssen uns damit anfreunden, dass die Predigten über ethische Grundsätze in Zukunft nicht mehr von Priestern von der Kanzel herab kommen, sondern, keck von souverän rabiaten Raabs vorgetragen, aus dem Smartphone.