„Südtirol – das letzte Ostblockland der Welt“ ist ein alter Aufsatz, den ich vor 30 Jahren geschrieben habe: Immer noch aktuell. Hier die Neuauflage in „NUiS“.
Erstmals veröffentlicht in:
LANANER GEMEINDEBLATT, September 1993 – Seiten 31 und 34, Rubrik: ‚FORUM‘ Die freie Seite für die freie Meinung. „Für eine grundlegende Erneuerung der politischen Willensbildung. Ein Plädoyer für alte Tugenden und neue Köpfe.“ Von Georg Dekas
Vergessen Sie für einen Augenblick einmal alles, was Ihnen an wichtigen Worten im Ohr liegt. Autonomie, demokratische Vertretung, Schutz der Südtiroler Volksgruppe, Einigkeit im Edelweiß. Vielleicht gewinnen wir dadurch die Gedankenfreiheit, uns einmal anzuschauen, wie weit es unsere Politik in Südtirol gebracht hat.
Wir Südtiroler leben wie die Maden im Speck. Dafür arbeiten wir hart. Aber Gott hat uns ein derart schönes Land gegeben, daß Gäste, um es zu genießen, auch jede noch so zache Kaminwurz, jede noch so schlappe Bedienung und jedes noch so abenteuerliche Preisnveau hinnehmen würden.
Im übrigen sind Land und Staat der größte Arbeitgeber, so daß den allseits beamteten Südtirolern der Rest der Welt eh wurscht ist, außer die Pflege der richtigen Leute, die für den Job entscheidend sein können. Grüß Gott, Herr Landesrat! Was sonst noch übrig bleibt, arbeitet still auf Feld und Wiese oder sitzt über dem nächsten Subventionsantrag.
Die SVP ist seit der Verabschiedung des «Pakets» arbeitslos geworden, wenn man vom ständigen Herumpakteln an den selbstverschuldeten Pannen und Lücken in diesem wackligen Autonomiegebäude absieht. Aber sie sitzt fest, bequem und selbstherrlich in den Sesseln der Macht. An allen Schalthebeln – vom Kanarienzüchterverein bis hinein in den römischen Apparat. Immer wieder in den vergangenen Jahrzehnten haben wir, die breite Mehrheit der Südtiroler Wähler, ihr den Mantel der hohen demokratischen Mission umgelegt. Nun, da es nur mehr ein um ein endloses Hin und Her bei Punkten weit hinter dem Komma geht, fällt der Mantel unbarmherzig ab. Und wie steht er nun da, der König ohne Kleider?
Als letzte Einheitspartei von der Gattung der sibirischen Dinosaurier. Mit Funktionären, die eine Nomenklatura sind. Wie ihre verblichenen Kollegen der Breschnew-Ära führen sie in Sonntagsreden schöne Worte im Mund, reden von Fortschritten und immer neuen Herausforderungen und Siegen. Aber von den Staatsmännern der ersten Stunde ist nur mehr die Hülse übrig geblieben.
Praktisch gesehen ist es eine Handvoll Leute, die das Land und seine Güter untereinander aufteilen. Wer in ihre Reihen aufgenommen wird, bestimmt man im Stillen unter sich. Die milden Gaben nach außen dienen vornehmlich dazu, ihre Plätze in der internen Hackordnung (Nomenklatura) zu festigen. Jeder ist mit jedem verwandt, bekannt und verbunden – und sei’s auch nur in Intrige und Neid. Und die Jungen stehen den Alten nicht nach. Die hohe Würde und Verantwortung der Gesetzgebung wird in aller Öffentlichkeit als Kuhhandel ausgetragen. Gesetze, auch wenn sie mit vielen Paragraphen geschmückt und demokratisch debattiert werden, erscheinen öfter als geschickte Verkleidungen von interessierten Einzelfällen denn als Ausdruck des Gesamtwohls. Talente, die ihre Kraft der Gesellschaft widmen wollen, werden nicht nach ihren Fähigkeiten und Kenntnissen, sondern nach standesgemäßer Einordnung, geographischer Tallage und der Meisterschaft in Linienförmigkeit geschätzt. Die sachgerechte und weitsichtige Verwaltung des volkswirtschaftlichen Einkommens erstickt in Bonzentum, Freunderlwirtschaft und Prominentenfilz. […] Korruption, wie sie im übrigen Italien aufgedeckt wird? Bei uns nicht. Das haben unsere kleinen und großen Apparatschiks nicht nötig. Sie sind die Bewegung, sie sind der Staat. Südtirol, das letzte Ostblockland Europas unter dem Diktat des vollen Bauches.
Lesen Sie, wenn Sie mögen, den großen Rest dieser politischen Analyse aus dem Jahr 1993 auf NUiS HIER (Datum 22. Juli 1993)