MERAN 1836. Die Cholera schlägt zu. Am 10. August hatte es begonnen, im Oktober ist das große Sterben vorbei. Hier das Tagebuch von Zivil-Ingenieur Anton Jordan über die letzten Wochen der Seuche.
1. September.
In Algund keinen Sterbefall. Deutlich sieht man in den Apotheken die Abnahme der Rezepte. Hingegen tritt die Krankheit in Marling sehr heftig auf, heute sieben Tote. In Lana tritt die Cholerine auf, am 29. gab es dort die ersten vier Todesfälle. Heute abends starb der wohlhabende Putzbäck Ladurner. Er retirierte vor acht Tagen aus Furcht nach Pfelders.
2. September.
Gestern starben in Mais drei Personen, in Algund eine. Bis heute mittags gab es in Algund 98 Todesfälle und in Mais 94. In Marling schaut es bös her, ebenso in Lana und in Terlan. In Algund vergrößern sie jetzt den Freithof, ich erhielt den Auftrag, hinauszugehen, die Arbeit zu bestellen und einen Kostenvoranschlag vorzulegen, was auch geschah. Heute packte es mehrere in der Stadt, besonders Frauenspersonen, jung und alt, gut und schlecht. Es ergriff auch die Putzbäckin.
3. September.
Heute starb richtig die Putzbäckin. Es packte auch den Kaffetier Parisi. Ohnehin von schwacher Gesundheit, ging er nach Labers, aß dort Obst, kam nach Hause und trank Bier und Wasser und so bekam er den Durchfall. Die Cholerine zeigt sich in Riffian, Saltaus und in St. Martin, aber noch nicht in St. Leonhard. Es kommt jetzt mehr gegen Obermais. In Marling haust die Krankheit übel, seit einigen Tagen täglich vier bis zehn Todesfälle. In Algund wenig Tote.
4. September.
In Lana gab es heute sieben Sterbefälle. In Mais, Algund und Meran kein Toter.
5. September.
Sehr schwülig. Kein Toter in Meran und Algund. In Lana zehn Tote, Burgstall ist noch frei. Gargazzon hat einige Kranke, Terlan vier bis fünf Tote.
6. September.
Heute starb in Schönna die erste Weibsperson an Cholera mit Krampf und Schmerzen.
9. September.
Gestern starb die Kreuzwirtin. In Lana starben 15 Personen. In Algund haben sich bisher 107 Todesfälle ereignet, ebensoviel in Mais, in Marling 81.
10. September, früh.
Heute starb hier eine alte Frau, die wegen ihrer Mittel gegen den Wurm in den Fingern bekannt war. Auch packte es heute Nacht eine Magd beim Klapeer. In Lana tritt die Seuche bös auf, es soll die wahre Cholera sein, weil die Leute blau, fast schwarz werden. Vinschgau ist angesteckt, besonders in Tschengls, Laas und Vezzan ist es übel. Sonderbarerweise ist Eyrs noch frei.
In Obermais gibt es kein Haus, worin nicht jemand krank ist.
In Algund ereignete sich vor einiger Zeit ein komischer Fall. Dort gibt es einen Bauer namens Lambert, der hatte fünf oder sechs Schulen studiert. Er bekam die Cholera und da besuchten ihn Dr. Gasteiger und der Ortschirurg. Die Herren deliberierten lateinisch, was für eine Krankheit den Mann ergriffen habe und was man tun solle. Sie kamen überein, daß er wirklich die Cholera habe. Der eine von ihnen sagte zum andern auf lateinisch, man solle das und jenes probieren, es liege ja nichts daran. Als dies der lateinische Bauer hörte, rief er schreiend die Mutter zur Hilfe, sie solle diese Mörder sofort aus dem Haus jagen. Er machte dabei einen solchen Lärm, daß die zwei Ärzte gern davonliefen. Er wurde in der Folge ganz gesund.
In Algund haben sich vier Todesfälle zugetragen, es scheint dort wieder anziehen zu wollen. Dort werden die Leute alle schwärzlicht.
11. September, Sonntag.
In Algund war wieder ein Todesfall, ebenso einer in Mais. In Girlan haust die Cholera am ärgsten. In Bozen ist es seit sechs Tagen recht böse, die Krankheit wird immer heftiger und fordert täglich 10 bis 15 Todesopfer. Hier ist es sehr gut. Heute Nacht packte es die Kindsmagd vom Baron Hausmann, allein der Wiener Doktor beseitigte schnell die Gefahr.
12. September.
Heute starb hier niemand. Alles in allem sind hier seit Ausbruch der Cholera einschließlich der Kinder und sonstigen Kranken 34 Personen gestorben, davon 27 im Spital.
13. September.
Die Krankheit ist jetzt im Abnehmen, ob dies die frische Witterung verursacht oder nicht, ist ungewiß.
14. September.
Gestern und heute starb niemand in Mais, in Algund ebenfalls niemand, so auch hier. Hingegen starben heute in Bozen 27 Personen.
15. September. Alles ist gut. Täglich fällt abwechselnd etwas Regen. In den Apotheken ist nicht einmal mehr ein Viertel der Rezepte von früher zu erledigen.
16. September. Offenbar bessert sich alles, selbst von den Gemeinden kommen jetzt bessere Nachrichten.
17. September. Heute schrieb ich meiner Schwester mit Vergnügen nach Innsbruck, daß die Cholera bei uns schon seit sechs Tagen aufgehört habe. Doch spricht man noch immer von Lana und hauptsächlich von Bozen, wo in vier Tagen 90 Personen gestorben sind. In Algund und Mais hat es fast aufgehört, besonders in Algund. Auch in Lana ist es jetzt besser, Algund und Mais werden sich gleichstehen mit zirka 114 Tote, Lana hat fast 100 Tote. Auffallend besserte sich die Lage, wie ich voraussagte, nach dem starken Regen vor fünf Tagen. Es schneite bis auf die Mut herab.
In Marling haben sich alles in allem 86 Sterbefälle ereignet.
18. September, Meran ganz gut, in Mais und Algund wenig Kranke.
19. September. Heute starb in Algund der letzte Cholerist, nämlich der Wildbauer. Er beging dafür auch die Dummheit, zwei Tage an Durchfall zu leiden, ohne den Arzt zu rufen.
20.—24. September. Alles in der Gegend ist gesund und es gibt keine Sterbefälle mehr. Die Vögel treten wieder häufig auf. Merkwürdig ist, daß der Hund beim Bodenmüller in Algund vor den zwei Söhnen, die starben, die Cholera hatte, er wurde plötzlich auf dem hinteren Gestell lahm etc., man machte ihm drei Schnitte über den Rücken und er wurde hergestellt. Auch ist sonderbar, daß in Lana fünf Brüder, die völlig von einander entfernt waren und nichts voneinander wußten, in acht Tagen starben.
30. September. Die Cholera ist wirklich verschwunden. Sie ist ins Passeier gewandert und besonders nach Pustertal.
12. Oktober. Seither hat sich kein Fall mehr ereignet, weder in der Stadt noch in Algund oder in Lana. Alles ist gesund, man redet nichts mehr davon.
Der erste und größere Teil des Tagebuches findet sich auf NUiS mit Eintrag vom 15. August 2023.
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QUELLE
Das Seuchentagebuch von Jordan wurde vom angesehenen Heimatkundler Richard Staffler einer breiteren Leserschaft zugeführt in dem Buch: Meran: hundert Jahre Kurort 1836 – 1936 ; Festschrift der alten Hauptstadt des Landes zum hundertjährigen Bestande als Kurort, hrsg. von Bruno Pokorny, 1936, Innsbruck Verlag Wagner. Der Aufsatz nennt sich „Das Cholerjahr 1836 im Burggrafenamte. Von Richard Staffler.“, Seiten 59-68.
Das Manuskript „Die Cholera in Meran und Gegend im J. 1836“ mit der Bezeichnung ß 42/4 erliegt im Meraner städtischen Museum, notiert R. Staffler.
Ermöglicht hat diesen Beitrag die Landesbibliothek Friedrich Tessmann mit der Digitalisierung ihres Bestandes, dafür herzlichen Dank.