Rückgrat muss man sich leisten können. Die meisten brauchen es gar nicht, sie sind Konformisten.
„Rückgrat zeigen!“, las ich jetzt schon zwei Mal. Die Antifa Meran wollte das von den Gemeindeverwaltern in Algund sehen, indem sie eine Veranstaltung verbieten sollten, und der Chefredaktor von NIUS.DE zollte einer sportlich unfairen Weltmeisterin im Säbelfechten Respekt und meinte, wir alle sollten, so wie diese, Rückgrat zeigen. Umgekehrt meine ich, dass jene Rückgrat gezeigt haben, die in der Staatspandemie 2020-2022 nicht auf Vernunft, Sachverstand und bürgerliche Rechte verzichtet haben.
Und so ist Rückgrat nichts anderes als die Umschreibung einer Fahnenstange, die einer in einem Heerhaufen vor sich her trägt, um sich zusammenschießen zu lassen. Weil er meint, auf seiner Fahne sei die Wahrheit und das Gute geschrieben. Ich finde es tragisch, dass deutsches Denken, egal ob in Meran oder in Berlin, immer noch diese romantische Vorstellung vom unerschrockenen Ritter hat, der mit seinem steifen und gepanzerten Rückgrat dem eigenen Tod entgegen reitet.
Dabei ist das „Rückgrat“ als unerschütterliche moralische Haltung ungeachtet aller Wellen und Stürme sowieso ein anthropologischer Ausnahmezustand, ein exorbitanter Luxus geradezu. Diese senkrechte Art von „Rückgrat“ können sich Kinder und Narren leisten, die man nicht für voll nimmt, auch exzentrische Stars in der Stratosphäre der Berühmtheit, auch vereinzelte Ruheständler mit Grips, die nicht mehr katzbuckeln und dabei ihr Rückgrat krümmen müssen. Aber das sind Randerscheinungen.
Das menschliche Wesen fühlt sich in der Herde am wohlsten. Dazugehören und gemocht werden, das ist eines der schönsten Gefühle. Und sich sicher fühlen inmitten von Seinesgleichen. Da kommt der blaue oder rote Farbtupfer auf der Schafwolle erst ganz zum Schluß dran. Und ob die Herde von einem guten oder von einem bösen Hirten angetrieben wird, das erschließt sich weder den blind gehorchenden Hirtenhunden noch irgendeinem braven Weidetier, das mit seinem Kopf am Boden unermüdlich nach essbarem Gras sucht.
Dieses archaische Gleichnis gilt ohne Abstriche für die moderne Gesellschaft. Nur, dass man hier die Schafe Konformisten nennt, die Hunde Medien und die Hirten Chefs. Ich ziehe den Begriff Konformist vor, hätte auch Wendehals, Betonkopf, Mitläufer oder Anhänger sagen können, aber letztere Worte beschreiben nur das natürliche Verhalten eines Konformisten in bestimmten Lagen. Konformismus heißt konform gehen, und die beste Deutung dafür bietet ein Vogelschwarm. Ein wunderbares Naturschauspiel, wenn Tausende von kleinen Vögelchen diese Luftpirouetten in den Himmel zeichnen. Wie machen sie das nur? Nun, sie fliegen konform. Die Regel ist ganz einfach: Halte den gewissen Abstand und tu das, was dein Nachbar auch tut. Die Form zählt, nicht das Ziel. Eigensinn wäre Widersinn.
Vogelschwärme haben so unschuldige Ziele wie sie kunstfliegen können. Beim Ultra-Primaten Mensch ist es anders. Der hat im Paradies unerlaubt vom Baum der Erkenntnis gegessen und muss sich seitdem ständig zwischen Gut und Böse entscheiden. Einfach in einer Herde mit trotten, deren Hirte das Böse will? Das geht nicht. Was tun also die Konformisten als Erstes? Sie deuten das Böse in etwas Gutes um, damit sie weiterhin in ihrer Herde mit der alten Farbe ungestört grasen können.
Jetzt aber stürmt einer mit Rückgrat heran: Ein anderer Hirte, mit einem langen, harten Stab, den er in die Herde schleudert, und sagt „Ich bin der gute Hirte!“. Die Schafe stieben auseinander, die Hunde kläffen wie wild, der angeblich böse Herdenchef hebt seinerseits den Stab, es gibt zweimal Rückgrat und einmal Krieg. Und was machen die Schaf-Konformisten? Machen sie sich etwa die Mühe, herauszufinden, wer von den beiden Hirten der böse ist und wer der gute? Schauen sie sich gar das jeweilige Rückgrat an? Mitnichten. Dort, wo die mehreren Schafe hingehen und das fettere Gras wächst und die geileren Hunde sind, da gehen sie auch alle hin. Konform und wie programmiert. Mit dem Rückgrat waagrecht, nicht senkrecht.