Eine rare Spezialität: Tyrolean Walking Cheese 😉
Da lag er. Auf einem kleinen Tisch in der Ecke unserer hauseigenen Schnapsbrennerei hatte mein Vater ein Butterpapier aufgeschlagen. Darauf sah ich eine grob bröselige, an den Seiten gelbschleimige, bis weissliche Masse, die einen eigenwilligen, strengen Geruch verströmte. Und das in einem Raum, der vom heißen Marillenbrand ohnehin schon intensiv geschwängert war. „Da, kost‘ einmal“, langte mir der Vater einen Bissen auf der Messerspitze hin, „des isch Huemetkaas“. Dabei rollte er die Augen, wie immer, wenn ihm etwas gut schmeckte. Ich kostete zaghaft, denn ich traute der Sache gar nicht. Da sah ich ein kleines weißes Würmchen aus der Masse kriechen. Der Vater lachte schallend über meine verzogene Miene. „Der Huemetkaas isch erst guet, wenn er geht“, brachte er mir einen Tiroler Spruch bei: heißt, wenn die Käsemaden so zahlreich „zwotzlen“, dass sie dem Käse Beine machen. Den Käse hatte mein Vater von der Sennerei in unserem Dorf geholt, wo er selbst die Milch unserer Kühe anlieferte. Es ging das Jahr 1960 und ich war sieben Jahre alt.
Erst viel später las ich im Internet, dass diese Art von walking cheese tatsächlich eine Genussorgie für absolute Feinschmecker ist. Leider wird diesbezüglich nur mehr der „casu marzu“ aus Sardinien zitiert, was heißt, dass die Tiroler das Marketing-Match um den „gehenden“ Heimatkäse 0:1 gegen die Sarden (ja, die Italiener!) verloren haben. Aber das kann ja noch werden. Tatsache ist, dass der junge, also nicht (!) von Maden belebte Tiroler Graukäse seit einigen Jahren eine wahre Wiedergeburt erlebt hat, in der Küche genauso wie auf dem Jausenbrettl.
Als Marende gegessen wird der Huemetkaas mit rohen Zwiebelscheiben, ebenso rotem Weinessig und etwas Speiseöl, gerne auch von der Olive. Frisch gemahlener schwarzer Pfeffer drüber muss sein. Schmeckt sommers wie winters, ist leicht verdaulich und macht nicht dick.
Technisch gesehen ist der ursprungsgeschützte Tiroler Graukäse ein Sauermilchkäse mit weniger als 2% Fett und hohem Proteinanteil. Der junge Graukas hatt einen bröseligen bis geleeartigen Teig, der mit Topfenstücken durchzogen ist. Im Handel zu empfehlen ist der junge Graukas der Zillertaler Sennerei Kröll (in Plastikfolie eingeschweißt, 200 g). Traditionell gibt es den reifen Graukas als Laib. Seine Rinde ist vom typischen Milchschimmel überzogen, von dem der Graukas auch seinen Namen hat. Gewonnen wird er von der entrahmten Magermilch, ohne Lab. Früher war es der Käse der armen Leute, heute ist er eine Spezialität für Genießer, ernährungsbewusste Leute und nicht zuletzt kulinarischer Botschafter von ganz Tirol.
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