Bunte Früchte (c) dege

DER GENUSS DER WAHL

Georg Dekas
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5. September 2023

Jedes gute Wirtshaus hat eine Speisekarte mit mehr als 16 Gerichten. Warum nicht auch der Südtiroler Landtag?

 

Wer sich anschaut, wie viele freundliche, propere und tüchtige Menschen sich für die Landtagswahlen im Oktober 2023 aufstellen lassen, um ihre Partei, ihre Richtung und ihre Spitzenläufer zu unterstützen, und wie viele sich bereit erklären, die Ochsentour eines Volksmandats auf sich zu nehmen, der muss beeindruckt sein. Von Politikmüdigkeit keine Spur. Im Gegenteil: Alle fünf Jahre blüht die Demokratie auf und lässt die Hoffnung keimen, dass die kalten Techno- und Bürokraten in den alten Machthochburgen ihr Spiel noch nicht ganz gewonnen haben.

Falsche Negativreflexe

 

Aber da gibt es diese Stammhirnreflexe, die mit einem reichen Speiseangebot auf der politischen Menükarte ihre liebe Not haben. Da spricht das Leitblatt der Südtiroler von der «Qual der Wahl» (Dolomiten, Titelseite vom 31. August 2023). Meint sogar, die 16 antretenden Parteien würden «um die Gunst des Wählers buhlen» – eine Sprache aus vordemokratischen Zeiten. Athesias kleines, stromlinienförmiges Beiboot «Südtirol News»  bebildert die «Zersplitterung» der Parteien mit Glasscherben. Das Politkultur-Portal salto.bz sieht gar «politische Zerfallserscheinungen».

 

Bröckelndes Biedermeier

 

Es ist diese einbetonierte Auffassung, dass nur eine Einheitspartei den Erfolg für das Land und für Südtirol bringen kann. Diese, die SVP, hat ihren Dienst lange getan. Dass sie jetzt bröckelt, ist eine Tatsachenfeststellung ohne jede Wertung. Wie wenn man vor einem wunderschönen Haus aus dem Biedermeier steht und sieht, wie der Putz abblättert, die Ziegel schadhaft und die Fenster matt sind. Weil es die Hausbesitzer jahrzehntelang verabsäumt haben, eine stetige, stilechte Renovierung zu machen, hat der Hausverwalter begonnen, mit Malta und Kitt Kosmetik zu betreiben, um das Ganze irgendwie zusammen zu halten. Grauenhaft.

Viele Köche machen gute Küche

 

Es findet sich oben zitierte, negative Einstellung im Sprichwort wieder «Viele Köche verderben den Brei». Kann zutreffen, wenn lauter Primadonnen sich um den Kochlöffel streiten. Ein Blick in die Küche des «Goldenen Löwen» zu Hall im Tirol der 1920er Jahre lehrt hingegen, dass viele Köchinnen und Küchengehilfen die Gewähr für eine hervorragende Speisekarte sind. Aufs Teamwork kommt es an. Das kann der Südtiroler Landtag leicht von einem guten Wirtshaus lernen.

Foto (c) Zum Goldenen Löwen, Hall/Tirol
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