Gerade in Zeiten von Bio und dem ganzen Regional- und Handgemacht-Schmonzes: Ein Lob der Lebensmittelindustrie! Beginnend bei Liebig und Maggi.
Kurzer Blick zurück
19. Jh. – das Jahrhundert der Fabriken und Arbeiter, der Erfindungen und Eisenbahnen, der Landflucht und des Glanzes und Elends der Großstädte. Die marxistische Brille sieht dort nur Ausbeutung und Klassenkampf, Revolution und Arbeiterbewegung.
Doch der soziale Fortschritt hat viele Gesichter und viele Väter und Mütter. Ganz vorne hin stellen sich Staatsmänner und Ideologen, Parteiführer und Wissenschafter. Doch ihr Wirken wäre unfruchtbar geblieben, wenn dahinter nicht unzählige Selbsthilfen und Helfer sich um die praktische Seite des Lebens gekümmert hätten. Denkt an Vereine und Kirchen, aber auch an die Erfindung der Schrebergärten, die Erfindung des Sports, an Mediziner wie den österreichisch-ungarischen Chirurgen Semmelweis, der die Geburt sicherer gemacht hat, oder an Schwergewichte der Volksgesundheit wie Louis Pasteur und Robert Koch.
Die Schöpfer des Wohlergehens
Die Väter des Fortschritts, die im Verhältnis zu ihrer Bedeutung für die Besserstellung der industriellen Massen zu wenig gewürdigt werden, sind die Erfinder und Reformer im Bereich der leistbaren Ernährung und der gesunden Lebensmittel.
Bei aller Hochachtung für spätere Reformer wie Max Bircher-Benner oder den Antroposophen Steiner sind die Gründerväter der Ernährung im Industriezeitalter nicht zu vergessen.
Liebigs Würfel
Ein Titan der Humanisierung industrieller Hochleistungsgesellschaften ist er, weltweit anerkannt und geehrt als Persönlichkeit, aber in seiner politischen Langzeit-Bedeutung völlig unterschätzt: Justus von Liebig – Kunstdünger, Chloroform, Fleischwürfel. Liebigs Würfel für das Wohlergehen von Millionen Menschen entscheidender als hundert Bücher von und über Karl Marx. Bei meiner Hochachtung für den Trierer Wirtschaftsprofessor ist das eine Aussage.
Die Maggi-Saga
Der nächste Große ist Julius Maggi (ausgesprochen Maddschi), aus der Getreidemühlenbesitzer-Familie Maggi-Esslinger. Vater Michele Maggi war 1828 als politischer Flüchtling von Monza in die Schweiz gekommen, hatte in die Zürcher Patrizierfamilie Esslinger eingeheiratet und war Mühlenbesitzer geworden. Sohn Julius fand am Ursprung des Rheins den idealen Anschluss an die europäische «Herzpumpe» Industrie.
Auf der Webseite der Maggi AG heißt es:
«Julius Maggi engagiert sich außergewöhnlich zum Wohl der Menschen und verwendet Leguminosen (eiweißhaltige Hülsenfrüchte), um Fabrikarbeitern nährstoffreiche, preiswerte Lebensmittel zur Verfügung stellen zu können. 1883 bringt er schließlich das erste nahrhafte Leguminosen-Mehl auf den Markt – und forscht immer weiter. Die erste kochfertige Maggi Suppe aus Erbsen-und Bohnenmehl kommt auf den Markt. Bald sind es schon 22 Sorten. Und mit der Suppenwürze erfindet Julius Maggi das „gewisse Tröpfchen Etwas“. Sie machte MAGGI in aller Welt bekannt. Eigenhändig entwirft Julius Maggi ein Jahr später die typische braune MAGGI Würzflasche mit dem gelb-roten Etikett. Die Farben und Form der Flasche sind bis heute gleich geblieben.»
Wahrzeichen Maggi-Flasche
Für mich ist diese kleine Maggi-Flasche das Wahrzeichen der stillen Revolution, die zur Befreiuung und Besserstellung der Arbeiterklasse einen immer noch unterschätzten, aber unschätzbaren Beitrag geleistet hat. Ich würde mir wünschen, dass die (politisch-ideologisch beeinflussten) Geschichtsbücher der Pflichtschule diese große Bedeutung der Lebensmittelindustrie mehr hervorheben.
Schiefe Werturteile
Auf Schritt und Tritt wird uns heute das Selber Gekochte, das Unbehandelte, die Null-Kilometer-Bio-Ware und das nachhaltige Regionale Essen um die Ohren geschlagen, was an sich ja durchaus edel und anerkennenswert ist, wäre dahinter nicht immer der konstruierte Gegensatz zu den «industriellen» Lebensmitteln, die in dem Maß schlechter gemacht, als die «grünen» Lebensmittel in den Himmel gelobt werden. Das ist eine grobe Verfälschung der Dinge: Ohne die Errungenschaften der Industrie wären wir arm dran, und auch die feinschmeckerischen Standards der Industrie haben inzwischen eine Stufe erreicht, hinter der manche selbstgemachten Hauserzeugnisse weit zurückfallen können: in Geschmack, Nährgehalt und Aussehen, wohlgemerkt, vom Preis gar nicht zu reden.
Lob der Konservenbüchse
Schon länger habe ich auf die Italienische Küche und deren industrielle Konservierbarkeit hingewiesen. Um zu sagen: Vorzüglichkeit und Industrie beißen sich nicht. Deshalb müsste ich nach Maggi auch das Loblied der metallenen Konservendose singen, aber das mache ich ein andermal.