Landesfahne Südtirol (Foto dege)

DEMOSYNE

Georg Dekas
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3. Juni 2023

«Demosyne» – die Erneuerung der parlamentarischen Demokratie. Eine Ideenskizze, illustriert an Südtiroler Verhältnissen.

 

Zeit für Synthese

In der Parlamentsdemokratie häufen sich die Fehlfunktionen. Die unveräußerliche Freiheit des Bürgers und der Mehrheitswille des Souveräns werden zunehmend beiseite geschoben von einem technokratischen Dirigismus. Parteien, Parlament und Medien verzahnen sich gegenseitig und funktionieren nur mehr nach dem Gesetz der Selbsterhaltung um jeden Preis.  

Die Zeit verlangt eine kräftige Wende. So oder so. Da kein Machtsystem der Welt sich freiwillig abschaffen will, wird es wohl am Ende wieder ein schmerzhafter Umbruch sein. Nichtsdestotrotz wage ich einen Gedanken in Richtung Selbstreform des parlamentarischen Systems. Ich nenne die Ideenskizze «Demosyne», ein Kunstwort, gebildet aus gr. «demos» Volk» und «syn» zusammen. Verbinde damit keinerlei Anspruch auf Machbarkeit oder Kollaudierung. Es ist ein «Rondo» in einem entlegenen Südtiroler Blog.  

Der Ist-Zustand: Dino-Demokratie

Im Beitrag «Das Bürgermeisterparlament» habe ich, den Südtiroler Landtag vor Augen, skizziert, wie die Abgeordneten des Landtages (oder eines beliebigen anderen Parlaments) sich mit  ihren Machtspielen gegenseitig hemmen und sich in der überbordenden medialen Aktivität verlieren. Auf der regierenden Seite steht ein übermächtiger Komplex von Parteigranden, Lobbyisten, «Experten» und führenden Beamten. Diese «Kanzler-Kader» zementieren ihre Macht durch Koalitionskartelle, indirekten Stimmen- und Personalkauf, durch Gesetzes-Weichen, die so genannten «Stellschrauben». Ihre Lieblingsworte sind «unbestritten», «unumkehrbar» und «alternativlos» . 

Ohne basisdemokratische Mitsprache führt diese Entwicklung immer stärker weg von der liberalen Demokratie hin zur Technokratie der Geldeliten. Unsere alten, liebgewonnenen parlamentarischen Grundordnungen werden den autoritären Staatsführungen immer ähnlicher – a bissl überall in Europa. Aber warum nur beklagen? Das System von Parlament und Parteien ist mittlerweile an die 400 Jahre alt, und was am Beginn eine revolutionäre Neuerung war, ist heute ein Dino mit großem Bauch, kleinem Gehirn und überlangen Nervenbahnen hin zu den Stummelbeinen. Demokratie muss sich weiter entwickeln und neue Weiden und Weiten erschließen, will sie nicht bis zur Unbeweglichkeit anwachsen und dann vom Einschlag eines einzigen Asteroiden zerpulvert werden. 

Im Grunde sind schon alle Elemente vorhanden, um das parlamentarische System kräftig zu erneuern. Ich möchte das in aller Einfachheit im kleinen Maßstab skizzieren, und zwar da, wo ich mich gut auskenne: Am politischen Gebäude des Landes Südtirol. 

Das Bürgermeisterparlament

Machen wir es doch so: Lösen wir den Parteien-Landtag auf und ersetzen ihn durch Leute, die an der Graswurzel gewählt wurden. Die demokratische Wahl, die zählt, ist die Gemeindewahl. Das heißt, die Landtagswahlen gibt es nicht mehr. Jeder Bürgermeister der 116 Gemeinden Südtirols ist von Amts wegen Mitglied des Landtags. Alle Bürgermeister treten einmal alle 5 Jahre zusammen und wählen aus ihrer Mitte drei Landeshauptleute mit 2/3 Mehrheit.

Der LandesRat

Die Gewählten sind Repräsentanten der deutschen, italienischen und ladinischen Gemeinschaft. Sie treten für die Dauer der Legislaturperiode von ihrem Bürgermeisteramt zurück. Das Triumvirat, genannt «Der LandesRat», beschließt mit einfacher Mehrheit. Die institutionelle Verständigung mit dem Parlament der 116 findet in monatlichen Beratungen nach Bezirken und einer Jahreshauptversammlung statt.

Pluralität ist garantiert

Mit der Vertretung und Leitung der Bürgermeister im Land kommen Deutsche, Italiener, Ladiner, Frauen, Arbeitnehmer, Grüne, Bauern, Unternehmer, Vereine und Verbände gut zum Zug, Kleine und Große, Talschaften und Bezirke. Die gesetzlich gebotene italienische Vertretung ist sogar an der Spitze abgesichert.

Vorteil: Gelernte Politiker

Ein landesweiter Wahlkampf wird überflüssig. Sterile Parteien- und Flügelkämpfe auf Steuerzahlerkosten verschwinden, ebenso das Presseaussendungs-Unwesen der Parteien. Bei den allgemeinen, freien und geheimen Gemeinde- und Bürgermeisterwahlen entscheidet sich, wer mittelfristig die den Landesregierung bildet. Da kommen Leute zum Zug, die sich auf Ortsebene bewähren. Deren Qualitäten man kennt. Die nicht immer Parteileute einer und derselben Partei sein müssen. Vor allem aber: Die den Beruf Politiker von der Pike auf erlernt und ihre (Bürger-) Meisterprüfung abgelegt haben.

Politiker leiten an, Fachleute führen die Geschäfte

Die drei Landeshauptleute (it. la Giunta, de. «Der LandesRat») sind die höchsten Repräsentanten des Landes Südtirol. Für die Verwaltung berufen sie externe Hauptgeschäftsführer auf Zeit. Diese managen als «Executive Officers»  die 7 Ressorts des Landes, die so aufgestellt sind: 1. Finanzen, Vergaben, Marktaufsicht; 2. Zivilschutz, Bauwesen, Landesbetriebe; 3. Kultur, Traditionspflege, Vereinswesen; 4. Schule, Familie, Sport; 5. Gesundheit, Pflege, Fürsorge; 6. Arbeit, Innovation, Wohnbau; 7. Medienaufsicht, Statistik, Promotion. Eine Stabsstelle Controlling und Qualitätssicherung wird eingerichtet.

Politisch beaufsichtigt, gestützt und angewiesen von den 116 Bürgermeistern bzw. deren taktischen Bündnissen, geben die 3 Landeshauptleute die Leitlinien und die operativen Ziele vor, die Geschäftsführer setzen um. Die Geschäftsführer werden am Markt rekrutiert und marktgerecht honoriert, sind dafür aber auch haftungspflichtig und können ohne weiteres gefeuert werden. (Wichtiger Nebeneffekt: Es entfällt der Drang gewählter Parteipolitiker, sich als Geschäftsführer ihrer Ressorts zu gerieren.) In jedem Ressort gibt es einen «Garanten» oder «Ombud», der auf die Verfassungsmäßgkeit der Geschäftsführung achtet.

Mehr und einfachere Bürgerentscheide

Bürgerbefragungen und Volksentscheide werden stark vereinfacht. Im Prinzip soll jeder Bürger eine Gesetzeseingabe machen können. Er bekommt von den exekutiven Geschätfsführern des betreffenden Ressorts in kurzer Zeit ein Gutachten zur Machbarkeit mit technischer Beschreibung der vermutlichen Auswirkungen, Hindernisse, Vor- und Nachteile usw. Auf dieser Grundlage können Volksentscheide herbei- und ggf. durchgeführt werden.

Den Gordischen Knoten lösen

Die erste operative Beschlussfassung des Triumvirats («Der LandesRat») ist es,  den arbeitsrechtlichen Status des Landes- und Gesundheitspersonals vom Beamtenstatus in den zivilrechtlichen Status von Angestellten umzuwandeln. Beamte bleiben nur garantistische Funktionen, wie Ombud, Schul-, Gerichts- und Polizeipersonal.

Expertise wird ausgelagert

Nun kann die öffentliche Verwaltung auf Wirksamkeit getrimmt und auf das wirklich Nötige beschränkt werden. Die meisten Aufgaben, die heute in den Händen der Beamten der Landesverwaltung liegen, werden auf private Unternehmen ausgelagert. Gesetzentwürfe machen private Rechtskanzleien besser und schneller als ganze Batallione von Juristen beim Land. Steuerberatungskanzleien Gleiches in der Steuergesetzgebung. Analoges gilt für Infrastruktur (Ingenieurbüros), Finanz- Immobilien- und Personalverwaltung (Agenturen, Banken, Steuerprüfungsgesellschaften, Personalmanagementfirmen, Immobilienservice, Versicherungen).

Politische Debatte wird ausgelagert

Die lokalen Medien übernehmen die Funktion der Plattform für die Darstellung und den Wettbewerb unter den politischen Parteien. Die doppelte Publicity-Rolle (Landtag + Medien) der Parteiabgeordneten entfällt und damit Zeit- und Konzentrationsverlust. Es wird ein neues Mediengesetz erarbeitet, das sowohl in den öffentlichen als auch in den privaten Medien geeignete Formate schafft, um der Regierung, der Opposition und den gesellschaftlichen Organisationen Raum für Darstellung und Diskussion zu bieten. Das Mediengesetz gewährleistet eine transparente und laufende Überprüfung der Nutzerzahlen sowie eine Ombudsstelle (Beschwerdestelle).

Unterwegs in den Obrigkeitsstaat?

Keineswegs. Die demokratische Legitimation des Bürgermeisterparlaments ist über jeden Zweifel erhaben: Mehr Graswurzel geht nicht. Was geschieht mit der lebenswichtigen Opposition? Mehr Bühne als die gesetzlich verankerte im öffentlich-rechtlichen und im privaten Mediensystem geht nicht. Was mit den Lobby-Gruppen (Verbände)? Die sind gut sichtbar aufgestellt und bleiben es, auch wenn sie keinen «Unser Mann in Havanna» im Hohen Haus sitzen haben. Beide, die die «Opposition» (Minderheitsparteien) und die Lobbies können sich auf Dutzende von bestehenden und vom Land bezuschussten Vereinen  (NGO) stützen. Ihr Wirken verlagert sich deshalb schnell vom Bozner Erbsengrün-Tempel (Sitz des Landtages) hinaus in die Ratssäle und Gemeindestuben (die ja auch Parlamente sind). Dort haben nichtlineare Kandidaten außerhalb der Parteikader sogar die größeren Chancen, bis an die Spitze der Landesregierung (Bürgermeisterparlament plus LandesRat) vorzustoßen denn als nahezu «sterilisierte» Kleinparteien im Rund der 35.

«Demosyne»

Die Einbindung der Gemeindeparlamente, die Einbeziehung privater Effizienz in die Verwaltung, die Sichtbarkeit des Landtages auf der Bühne der Medien und die Stärkung der Bürgerentscheide rechtfertigen zusammen den Modellnamen «Demosyne» – Demokratie des Zusammenwirkens.   

Gute Aussichten kaum in Sicht

Die Aussichten auf  Verwirklichung? Null. Freilich, die Spötter werden nicht fehlen. Sorvoliamo. Eine Anregung sollte die «Demosyne» schon sein. Denn ohne eine Wende werden System-Insider ohne Graswurzelmandat nach und nach das Heft in die Hand nehmen und sich in die teuersten Volksschauspieler des Landes einreihen. Die Beamtenbleikugel bleibt, die notorisch inkompetente Geschäftsführung der Ressorts bleibt, das Medienkarussell dreht sich, bis alle schwindlig werden, die Scheinkämpfe der Parteien bleiben, die überhöhten Gagen der Repräsentanten auch. Dafür gibt es keine Haftung für angerichtete Schäden. Fünf Jahre Taten ankündigen, kurz vor der Wiederwahl Wohltaten verteilen und weitere fünf Jahre von der Politik leben. Auf einem anderen Stühlchen, aber leben. Das kann’s nicht gewesen sein mit der Demokratie.

Weitere «Demosyne»-Reformen

 

  • Knoten Sanität

Unglaublich groß ist die Freisetzung von Energie im Bereich Gesundheit, wo private Dienstleister (Praxen, Kliniken) im Auftrag und unter Aufsicht der öffentlichen Hand enorme Effizienzsteigerungen und die Einsparung von hunderten Millionen Euro erbringen. Die vom Ressort 5 beaufsichtigte Deregulierung verlangt die Auflösung des Monopolbetriebes SABES («Südtiroler Sanitätsbetrieb»), die Beteiligung der Gemeinden an den Krankenhäusern und Sprengeln als selbständige Betriebe mit Sockelfinanzierung, die Rückführung der «Basisärzte» in freiberufliche Dienstleister und die Einführung von Selbstbehalten bei öffentlichen medizinischen Leistungen. 

  • Knoten Wohnbau

Nachdem die italienische Gesetzgebung durch den Mieterschutz die Verfügbarkeit von Mietwohnungen stark einschränkt, muss das Land ein eigenes, radikal günstiges Wohnbauprogramm auflegen, sagen wir Wobi+.

  • Knoten Beitragswesen

Steckenpferd der parlamentarischen Parteipolitik ist das Austeilen von Steuergeld in Form von «Beiträgen», was wiederum die Gesetzesmaschinerie und die Landesbürokratie beschäftigt. Unumgängliche Beihilfen und entsprechende Ansuchen werden von freien Rechtskanzleien ausgearbeitet und überprüft. 

  • Knoten Landes-Beamte

In der erweiterten Landesverwaltung entfallen sehr viele Beamtenstellen, die Mehrzahl Teilzeitfrauen. Während die operativen Funktionen in die erstarkten privaten Dienste abwandern (die sich über tüchtige Mitarbeiter freuen) muss für alle, die heute aus sozialen und politischen Gründen im öffentlichen Dienst «geparkt» sind, eine neue Lösung gefunden werden: Zum Beipiel ein gesetzlicher Elternlohn, oder die Berufsanerkennung von Hausarbeit und Pflege, oder die öffentliche Anstellung als ökologischer und traditioneller Landschaftspfleger, usw.   

  • Und Vieles mehr…
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