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GRANA, GRANDI, GRANE

Georg Dekas
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29. März 2023

Die italienische Küche soll bald UNESCO Weltkulturerbe sein. Ein Professor namens Grandi macht „Grane“, also Schwierigkeiten, weil er den Amerikanern die Geschichte des „Grana“ also des Parmesankäses, etwas genauer erzählt – und die italo-identitären Pfaue zum Radschlagen bringt. Grande, Grandi!

Den originalen „Grana Parmigiano“, den granulierenden Hartkäse aus Parma, kann man am Originalsten in Wisconsin, USA, verkosten. Nach der Landung auf Sizilien im Jahr 1943 schrieben amerikanische Soldaten enttäuscht nach Hause, in Italien fänden sie keine Pizzerias. Das erste Rezept einer Carbonara wurde 1953 in Chicago geschrieben. Die Pizza, so wie sie heute in Italien gemacht wird, kommt aus Amerika. Das Tiramisù ist eine junge Erfindung aus den 1980er Jahren. Und sogar Gualtiero Marchesi, der Moses der italienischen Küche, habe Sahne in seine Carbonara getan.

Dies und noch viel mehr sagt „Professore“ Alberto Grandi aus Mantua. Er ist Dozent für Ernährungsgeschichte an der Uni. Jüngst hat er der Financial Time ein Interview zur Italienischen Küche gegeben, weil diese demnächst ein immaterielles Kulturerbe der Vereinten Nationen wird. Fünf Seiten hat er bekommen und tausende Zuschriften. In seinem Heimatland sind die Sätze von Grandi nicht so gut angekommen. Der Oberchauvinist Matteo Salvini schimpfte sofort drauflos. Der mächtige italienische Agrarverband „Coldiretti“, der das Kulturerbe will, reagierte umgehend mit einer Protestnote. Eine patriotische Köchin („Chef“) kramte glatt ihre Tricolore hervor, um dem Akademiker Mores zu lehren. Und die Neapolitaner belehrten den Geschichtswissenschaftler über das erste Auftreten der Tomaten und der „muzzarella“ auf ihrer Pizza, lange bevor die Amerikaner kamen.

Alberto Grandi nimmt es gelassen. Erstens habe er nicht die Güte der Italienischen Küche in Frage gestellt, er sei nicht Koch, sondern Historiker, zweitens habe er die Mythen um den sakrosankten italienischen Ursprung gewisser Spezialitäten schon vor 5 Jahren in einem Buch entblättert. Seinen Podcast „DOI – Denominazione di Origine Inventata“, hat er vor schon vor einem Jahr gemacht. Und Drittens, so schließe ich mich seiner Kritik an, tendiert der Zirkus um DOC, DOP und IGP eher zur Mumifizierung als zur Vitalisierung der italienischen Kostbarkeiten. Das Interview in La Repubblica vom 27. März mit Lara Loreti gibt die beste Darstellung der Sache mit Grandi. Gut auch die Verteidigung der neapoletanischen Pizza auf vesuviolive.it  Daneben und chauvi wie immer die Reaktion des Giornale

Sicher, die Nerven liegen blank. Denn mit dem UNESCO-Ding rechnen sich die Italiener wieder neue Milliardengewinne mit ihrem lukullischen Vermögen aus. Die Relativierung ihrer Küche in der angelsächsischen Finanzwelt gefällt ihnen gar nicht. Alberto Grandi dagegen setzt auf kreativen Wandel, Offenheit. Er beschreibt im Repubblica-Interview, wie eine Spezialität praktisch vom Markt verschwunden sei, weil sie außerhalb des Dorfes seine zertifizierten Ursprungs gar nicht mehr produziert werden darf.

Und er legt den Finger auf eine Stelle, wo auch unser Südtiroler Speck ziemlich wehleidig ist. Grandi sagt, wenn wir alle Rindviecher für den weltweit verkauften Grana in der Poebene halten müssten, könnten „wir“ (er meint die Norditaliener) dort gar nicht mehr leben. Gleiches bei uns in den Alpen. Wir könnten in ganz Südtirol nie so viele Focken halten, wie wir für einen originalen Südtiroler Bauernspeck bräuchten.

Doch einen Punkt hat Alberto Grandi auf jeden Fall gut: Er sagt nicht, was früher war, ist gut, Industrie, Abwandlung und geografische Wanderung sind schlecht. Sondern das Gegenteil. Wandel, gegenseitige Inspiration, neue Geschmäcker gehören zur Kultur des Essens. Die Italiener hingegen praktizieren die Apotheose des Nationalen auch und vor allem beim Essen – nein, nicht in der Praxis, da vertilgen sie Sushi, Würstel und Burger was das Zeug hält, trinken Bier, kochen mit Sahne – aber wehe, wenn einer ihr italisches Imaginarium anrührt. Als ob der Rest der Welt fürchterlich kochen und essen würde. Sagt auch Grandi. So schlägt der Stolz in kulinarischen Rassismus und Engstirnigkeit um, ergänze ich.

In diesem Sinne also: „Grande Grandi!“, Großartig!

Verweise bei dieser sehr willkommenen Gelegenheit nebenbei auf ältere Beiträge, in denen ich die lukullischen Heiligtümer Italiens autodidaktisch angeknabbert habe (ohne je die großartigen Köstlichkeiten zu vergessen):

Die Carbonara ließen US-Soldaten 1944 einen Wirt in Rom erfinden
Die Pizza ist ein Reimport aus den USA und Junk-food
Die „Dieta Mediterranea“ ist eine Mogelpackung für Nordländer
Die Italienische Kost ist 100% Konserve
Tiramisù, der Glückstreffer einer Hausfrau
Die Carbonara mit Sahne ist super
Das ‚Milanese‘ ist ein Wienerschnitzel
Der Faschismus isst Risotto
Die Nutella aus der Not
Kutteln, die Spitze der unschlanken italienischen Küche
Italien isst Fisch, ja, aber Stockfisch
Piemont macht Franzosenwein
Der Prosecco ist kroatisch
Das arabische Sizilien
Name und Marketing ist das Italienische an Italiens Nationalgerichten.

 

Die Serie wird fortgesetzt. Ab jetzt mit Alberto Grandi im Rücken.

***

Nachtrag

Die nationalchauvinistische Zeitung „LIBERO“ titelt heute:

Parmigiano e pizza nel mirino: ai marxisti non piace il cibo made in Italy

In diesem Artikel zu Alberto Grandis Interview in der Financial Times nimmt Attilio Barbieri Stellung und nennt den Mantovaner Professor einen erklärten Feind unserer Tradition („nemico dichiarato delle nostre tradizioni“) und sein Interview „un attacco frontale al nostro made in Italy a tavola“, einen Frontalangriff auf unser Made in Italy der Küche.

Um ihn dann als Marxist zu brandmarken. Zitat:

„A dare la chiave di lettura migliore del lavoro di Grandi è probabilmente l’autrice dell’articolo uscito sul Financial Times: «La sua missione», scrive Marianna Giusti, «è distruggere le fondamenta su cui noi italiani abbiamo costruito la nostra famosa e notoriamente inflessibile cultura culinaria». Una missione, quella di demolire le tradizioni alimentari italiane, che «l’accademico marxista» (a definirlo tale è il Financial Times) condivide con l’amico Daniele Soffiati, segretario della Cgil mantovana, con il quale ha dato vita a un podcast, intitolato “Doi, Denominazione di origine inventata”. E Grandi non nasconde la simpatia per Eric Hobsbawm, lo storico britannico dichiaratamente comunista, autore del volume L’invenzione della tradizione. Alla fine tutto torna.“

 

Man versteht also, beim Essen hört in Italien der Spaß auf. UNSER ist das meist gebrauchte Wort, Feind und Angriff, Zerstörer eines Heiligtums. Als hätte Grandi die Monstranz aus der Kirche gestohlen.

Liest man hingegen den Artikel von Marianna Giusti im Original (Financial Times), dann klingt das mit dem Zerstörer doch ein bissl anders, als es der Zelot von Libero interpretiert. Sie schreibt von einer fast schon erstarrten Tradition und davon, dass Grandi den Gigant der Lebensmittelindustrie angreift, die ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Italiens erwirtschafte. Grandi sei in bestimmten Kreisen in Italien so verhasst wie Salman Rushdie bei den Muslims. Sie Marianna Giusti, habe stets den Hype um Italian Food gehasst, sagt sie selbst. Und ihre Recherche bei Nonna und Großonkel bestätigt exakt Grandis Aussagen. Na dann, Barbieri. Jetzt hast du zwei Feinde und einen dritten – die Wahrheit.

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