Die Mitte hält den Regenschirm (c) dege

Die Mitte

Georg Dekas
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22. November 2022

Die Mitte, das ist unzweifelhaft unser Nabel. Ursprünglich gesprochen. Dann gibt es da noch die goldene Mitte, die Mitte des Lebens, den Mittelstand, die Politik der Mitte, die Mitte zwischen zwei Stühlen, die Mitte zwischen zwei Heuhaufen. Vor allem aber die Mitte im Haufen drin.

Es soll diese Unterhaltung an der Denk-Bar nicht philosophisch ausarten. Also schön in der Mitte bleiben, auf den Mittelstreifen achten, den Rückspiegel nicht vergessen. Gesellschaftlich ebenso wie politisch ist man in der Mitte, wenn man durch die Kleinstadt geht und von links und rechts gegrüßt wird. Man selber grüßt zurück, nach allen Seiten, in allen Schattierungen. Flüchtig, anerkennend, kumpelhaft, ehrerbietend, förmlich, herablassend, freudig, aufgekratzt, reserviert. Doch, in gewissen Fällen ist es besser, kurz ein Schaufenster zu löchern, weil dort ein wahnsinnig toller Fetzen hängt.

Aber am Ende des Rundgangs hat man das Gefühl, ein leidlich bekannter, ja eigentlich beliebter Mensch zu sein, der für jeden ein Wort übrig hat, für die Freunde etwas mehr, für die Missgünstigen etwas weniger. Ja, man kann sich überall blicken lassen, ohne befürchten zu müssen, von Nichtachtung oder gar Feindseligkeit bestraft zu werden.

Oh, da gilt es aufzupassen. Die Mitte wird einem nicht geschenkt. Ja nicht die falsche Partei, den falschen Verein, die falschen Ansichten und Zeitungen! Ich meine, nicht dass sie falsch sein müssen, von der Mitte aus gesehen sieht man ja ziemlich rundherum. Aber weißt, wenn sie nicht so geteilt werden, die Worte, und das Hallo weniger wird, dann weiß der Mittige, dass er/sie/es sich aus der Mitte entfernt. 

Mögen die einen das ruhig als spießigen Herdentrieb, die anderen als bürgerlichen Konformismus verachten. Selber ist man glücklich, wenn einem der Hinz und der Kunz einen Klapfer auf die Schulter geben. Das ist die einfachste Definition der politischen Mitte. Welche Partei dann die richtige ist, und welcher Verein, und welcher Ball, und welches Lokal, ja, das ergibt sich von allein aus dem wohligen Gefühl, mitten drin dabei zu sein.

Da muss man kein Fex und Ex sein, um das zu verstehen. Umgekehrt sieht man es doch genau: Sind nicht all diese Extremisten komische Typen? Verkniffene Gesichter, wortkarg, spöttische Mundwinkel. Kaum machen sie die Gosch auf, kommen ätzend saure Bemerkungen über dies und das und alle anderen. Nichts ist recht, alles soll in Wirklichkeit anders sein, als du es sieht, alles wissen sie besser. Nein, bei denen geh ich lieber rund umadum.

Und wenn dich einer von denen volltexten will, sag einfach und gebieterisch: Themenwechsel! Oder noch besser, sag lässig: Jaja. Segmer ins amoll wieder, ha? Tschühüss. Die Extremen erkennt man leicht, da muss man keine komplizierten Artikel aus dem hintersten Netz heraus lesen. Wäre ja noch schöner, dann könnte man ja glatt in der Mitte zwischen zwei Stühlen zu sitzen kommen. Gott behüte! Viel lieber bin ich der Nabel der Stadt – was sage ich: der Nabel der Welt! Nichts geht über die bauchige Wärme der Mitte, das noblige Bussi: links, rechts, links.   

Nachtrag 1

Wer einmal den kunstvollen Flug eines Vogelschwarms gesehen hat, fragt sich, wie bringen die das nur fertig, die abertausend Vögelein? Der Forscher weiß Rat. Jedes einzelne kennt nur zwei Regeln: den gewissen Abstand halten und nachmachen, was das andere neben ihm tut. 

Nachtrag 2

Die größten Erfolge verdanken die Massenbewegungen und deren Anstifter nicht den fanatischen Gefolgsleuten, sondern den vielen, die in der Mitte sein wollen, die mit dabei, allseits gegrüßt, geachtet und belobiget sein wollen. 

 

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